piwik no script img

herr tietz macht einen weiten einwurfFRITZ TIETZ über Seelen- und Namenverkauf

Wer wird Jägermeister?

Nach den spektakulären Umbenennungen von Raider in Twix und Chemnitz in Karl-May-Stadt ist jetzt ein weiterer sensationeller Namenswechsel vollzogen worden, der vor allem die Fußballstadiennamenrater und -abfrager unter uns aufrütteln dürfte! Der 1925 als „Altonaer Stadion am Volkspark“ eingeweihte, später nur noch „Volksparkstadion“ geheißene Fußballhauptkampfplatz Hamburgs hört seit dem 1. Juli auf den attraktiven Namen „AOL-Arena“. Die zuvor favorisierten Vorschläge „Uwe-Seeler-Stadion“ und „Schüssel an der Müllverbrennungsanlage“ konnten sich gegen die originelle Namenidee des Internet-Anbieters AOL nicht durchsetzen. Und das wohl umso weniger, da AOL dem Hamburger SV als Besitzer der 55.000 Zuschauer resp. User fassenden Arena die Trennung vom alten Stadionnamen mit 30 Millionen Mark versüßte. Eine Summe, die weder Uwe Seeler noch die Müllverbrennungsanlage aufzubringen in der Lage waren. Immerhin soll jetzt Herr Seeler seinen Namen der Jungs-Umkleide im HSV-eigenen Fußball-Internat geben dürfen. Die Müllverbrennungsanlage dagegen bleibt vorerst ohne Namensnehmer. Interessenten, bitte melden!

In Hamburg wurde die Umbenennung des Stadions allgemein begrüßt. Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) feierte sie gar als eine „großartige Entscheidung“; angeblich führt er bereits Verhandlungen mit AOL, um die „netten Internetter“ (Runde) dazu zu bewegen, ihren Namen nun auch der Stadt zur Verfügung zu stellen: „Freie und Hansestadt AOL, das wär’s doch“, soll Runde wiederholt begeistert ausgerufen haben, so berichten es jedenfalls übereinstimmend seine Pfleger. Auch die HSV-Fans zeigten sich durchweg erfreut und gaben dem Affen zusätzlich Zucker, indem sie HSV-Chef Werner Hackmann auf einer spontan anberaumten Kundgebung per Transparent aufforderten: „Hackmann: Seelenverkauf!“ Der alerte HSV-Boss hat den Fans daraufhin zugesichert, entsprechende Verkaufsmöglichkeiten zu prüfen. Er müsse jedoch erst mal den Marktpreis für Vereinsseelen recherchieren. Auch die Empfehlung einiger Fans an die Vereinsführung, nach dem alten Stadionnamen gleich noch die eigene Großmutter zu verkaufen, stieß bei Hackmann auf reges Interesse. Er wisse allerdings gar nicht, ob und wo die Großmutter des HSV eigentlich lebe.

Sogar Lokalrivale FC St. Pauli ist mittlerweile von der Idee einer Stadionnamensänderung schwer angefixt, will jetzt seinen Fußballplatz ebenfalls umtaufen: Grundig-Ground soll der Favorit sein. Der Hinweis, dass es der Firma Grundig so gut momentan nicht gehe, konterte ein Sprecher des Vereins: „Was soll’s. Uns ja bald auch!“ Offenbar hat man auf dem Kiez wieder mal nichts verstanden.

Derweil hat AOL angekündigt, den nackten Tribünenbeton der AOL-Arena „optisch aufzumotzen“, wie Bild-Hamburg berichtet. Auf dem Dach wird in großen Lettern die wohl weltbekannteste AOL-Botschaft installiert: „Der Server kann ihre Anfrage nicht bearbeiten. Bitte versuchen Sie es erneut in ein paar Minuten.“

Vom Hamburger Name-Selling angesteckt scheint auch der DFB zu sein. So war zu hören, dass er die Fußballbundesliga in Coca-Cola-Liga umzubenennen plant und die zweite Liga vermutlich in River-Cola-Liga. Außerdem werde geprüft, ob die Deutsche Meisterschaft nicht auch unter der Bezeichnung Deutsche Jägermeisterschaft ausgespielt werden könnte. Nebenbei: Sämtliche Alt-Herren-Mannschaften sollen fortan unter Hannen-Alte-Herren geführt, Abendspiele grundsätzlich als „After-Eight-Spiele“ verkauft werden. „Wahnsinn!“ (Stefan Petry)

Letzte Meldung: Soeben hat der Bundes- bzw. Cocacolaligist SC Freiburg sein Dreisam-Stadion in Ritter-Sportplatz umbenannt sowie sich selbst in FC Abflussfrei Burg.

Fotohinweis:Fritz Tietz, 42, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen