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Archiv-Artikel

gegen frühlingsallergien hilft allein mörike von TOM WOLF

Frühling läßt sein blaues Band / wieder flattern durch die Lüfte; / süße, wohlbekannte Düfte / streifen ahnungsvoll das Land / Veilchen träumen schon, / wollen balde kommen. – / Horch, von fern ein leiser Harfenton! / Frühling, ja du bist’s! / Dich hab’ ich vernommen!

Als Eduard Mörike sein Gedicht „Er ist’s“ schrieb, das jeder, den man fragt, spontan Goethe oder einem anderen Klassiktrompeter zuschreibt, lebte man hierzulande sehr hart, musste mit wenig auskommen und kannte keine Allergien gegen Erlen und Birken. Ich dagegen lebe im Überfluss von Tempo-Taschentüchern und belle mir die Seele aus dem Spaziergängerleib. Birken und Erlen! Harte Worte möchten fallen, doch mir ist selbstredend klar, dass am triefenden Elend allein die zivilisatorischen Zeitläufte schuld sind. So weit hat es der Mensch im Kampf mit der Natur gebracht. Mir läuft die Nase …

„Veilchen träumen schon, wollen balde kommen!“, sagt der Dichter, den ich zur Allergie-Therapie rekapituliere. Manchmal hilft es, auch bei Asthmaanfällen, wenn man sich ablenkt. Nun ja, mit Veilchen ist es an der Großen Krampe im wasserreichen Südosten Berlins eher nichts. Aber der reale Anklang der drittletzten Gedichtzeile befremdet und macht Mörike plötzlich ganz aktuell: „Horch, von fern ein leiser Harfenton!“ Tatsache. Für den Moment übertöne ich es leider mit einer Nies-Explosion, dieses Schwingungsgewebe, das an eine gehörte Fata Morgana denken lässt. Hab ich es mir nur eingebildet? Nein, da ist es wieder, ganz deutlich und sich steigernd! Darauf noch mal herzlich genossen.

Baumelt hier irgendwo vielleicht eines dieser nervigen asiatischen Klöppelgehänge, von einem meditativ veranlagten Wildhüter hinterlassen, das nun weltvergessen sein akustisches Unwesen treibt? Nein, das Gedöns kommt doch eher vom See her. Und ist auch gar nicht so schlimm anzuhören.

Ich sehe mir, nachdem ich ein weiteres Mal die rot gescheuerte Nase trockengelegt habe, die Sache genauer an. In Ufernähe werden winzige Eisschollen, dünn wie die Pfefferminzfüllung im After-Eight, vom seichten Wellengang gedrängt, zu Schuppen zermahlen und übereinander geschoben! Jedes Hochgehen des Wassers schüttet einige hundert Splitterchen auf die noch feste Platte – das hört sich an wie Grillenzirpen.

Ein Blick über den windbewegten See erschließt mir jetzt auch die Herkunft jenes ersten, unerklärlichen Klingklangs: Größere Splitter sind es, die weiter draußen an einer flachen, zweihundert Meter langen Eisscheibe auf gleiche Weise bewegt werden. Ein changierendes Klingeln – allein von Eis, Wasser und Wind hervorgebracht.

Ich verharre noch eine ganze Weile wie eine Zitterpappel im pollengeschwängerten Märzwind, um dem kleinen Weltwunder zu lauschen. Das Niesen bleibt, aber Mörike sei trotzdem jeder Allergikerin und jedem Allergiker ans Herz gelegt. Vielleicht führt er sie zu anderen subtilen Naturhörspielen und lässt sie so das Schicksal der Spätgeborenen ertragen. Unzweifelhaft kann ich – Erlen und Birken nur maßvoll verfluchend – mit diesem uralten Dichter sagen: „Frühling, ja du bist’s! Dich hab’ ich vernommen!“ Gesundheit!