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Archiv-Artikel

fußpflege unter der grasnarbe Mit Ricken im Kies

Das ist mein liebster Fußballtraum: Die eigentliche Handlung besteht darin, dass ich mit einer nicht näher definierten Person durch eine kiesgrubenartige Landschaft gehe und ein nicht näher definiertes, aber unangenehmes Gespräch führe. Dann klingelt mein Handy. Es ist Lars Ricken, der mir sagen will, dass wir heute um 14 Uhr Training haben und ob er mich abholen soll? Ja? Okay, dann bis später. Ende des Traums.

Zugegeben, auf den ersten Blick klingt das nicht besonders beeindruckend. Ich kann nicht Fußball spielen, und die Vorstellung, dass sich irgendein Verein, zumal einer, der mir am Herzen liegt, meiner Dienste versichern würde, verweist auf sportliche Abgründe, über die ich nicht einmal nachdenken will. Zudem gibt es eine Reihe von Spielern, zu denen ich ausgelassenere emotionale Bindungen pflege als zu Lars Ricken, weswegen ich auch überrascht war, ihn in meinem Traum anzutreffen.

Was ich aber an diesem Traum sehr mag, ist die selbstverständliche Belanglosigkeit, mit der sich der Fußball hier in das Geschehen einfügt. Es geht nicht um aufregende Spielsituationen, Meisterfeiern oder sonstige dramatische Ereignisse auf dem Platz oder daneben. Es ist einfach nur Lars Ricken, der anruft, um zu fragen, ob ich mit ihm zusammen zum Training fahren will. In diesem Traum ist Lars mein Kumpel, so wie der Fußball im Leben mein Kumpel ist.

Ein langjähriger Freund, den man regelmäßig sieht, auch wenn es nicht immer richtig inspirierend ist, manchmal sitzt man sich eben nur gelangweilt gegenüber und weiß nicht recht, was man sagen soll. Trotzdem – wenn wir uns länger nicht getroffen haben (weil er Urlaub hat, in der Türkei oder an der Algarve trainiert wie jetzt), dann muss ich wissen, wie es ihm geht und wann er zurückkommt.

Aber er macht mir auch viel Kummer, er ist total unzuverlässig, hält seine eigenen Versprechen nicht ein, ist oft ungerecht, selbstherrlich und hat einen Hang zur Grausamkeit. Und ich weiß genau, dass ich ihm weniger wichtig bin als er mir. Einige meiner Freundinnen und Freunde haben überhaupt kein Verständnis für diese Beziehung („Was findest du bloß an dem?“), und das wird häufig auch nicht besser, wenn ich sie einander mal vorstelle („Oh Gott, ist der etwa immer so?“) Manchmal frage ich mich deswegen schon, warum ich eigentlich noch mit ihm befreundet bin.

Damit sind wir wieder bei meinem Traum. Denn was immer man auch Schlechtes über meinen Freund Fußball sagen kann, er gehört nun mal zu meinem Leben. Er erwartet nicht von mir, dass ich seine Probleme löse (oder sie mir auch nur anhöre). Er lenkt mich ab, wenn ich traurig bin. Er macht meinen Kopf leer, wenn der mit banalen Sorgen vollgestopft ist. Hinter jeder Kiesgrube, die ich durchquere, liegt ein grüner Rasen, und der nächste Spieltag ist nicht mehr fern.