: dumich und ichdich
Eine Liebesgeschichte als visueller Dialog
Egal wo, zu Hause in Berlin oder im Urlaub, in Hotelzimmern oder auf Fluren, vor eingefallenen Häusern oder in Bauwagen, auf Wiesen oder am Meer, überall dort, wo sie zu zweit sind, lichten sich die Fotografinnen Barbara Dietl und Anja Müller seit drei Jahren ab. Wie Bilderjunkies. Die eine fotografiert die andere, die andere die eine.
„Schuss versus Gegenschuss“, sagen sie. Es klingt wie ein Duell. Dabei meinen sie das Gegenteil: Nicht du oder ich, sondern „ichdich“.
Der kleine Bildband „ichdich“, das Ergebnis dieser gemeinsamen Arbeit, wirkt auf den ersten Blick verhalten, unspektakulär, obwohl er eine Obsession durch die je andere Person offenbart: Da ist etwa ein Foto, auf dem Barbara Dietl am Strand liegt, hinter ihr der Horizont. Auf der gegenüber liegenden Buchseite steht Anja Müller an der Bucht und schaut skeptisch in die Kamera. Hinter ihr ist das Rund des unwirtlichen Ufers.
Auf allen Doppelseiten werden ähnliche visuelle Dialoge zwischen Müller und Dietl inszeniert. Dabei bleibt die Korrespondenz zwischen den Bildern sehr stubtil. Mitunter ist es nur ein Detail – ein Bett, der Fußbodenbelag, die Rippen einer Heizung, das blaue Wasser eines Pools – das deutlich macht, dass es derselbe Ort ist, an dem die Bilder aufgenommen sind.
Fotos tragen den Nimbus in sich, die Wirklichkeit abzubilden. Das Auge der Kamera täusche sich nicht, sei unbarmherzig, objektiv. Obwohl längst als Mär entlarvt und durch die neuen technischen Möglichkeiten der Bildgestaltung ad absurdum geführt, hält sich diese Wahrnehmung hartnäckig. Damit aber wird das Spiel mit der subjektiven Aneignung von Wirklichkeit immer wieder aufs Neue angestachelt. Genau an diesem Punkt setzt die Arbeit der 35-jährigen Müller und ihrer fünf Jahre älteren Gefährtin an. Indem sie sich am selben Ort gegenseitig ins Bild setzen, signalisieren sie, dass der Blick auf die jeweilige Landschaft oder Umgebung immer auch Inszenierung ist. Damit nicht genug: Obwohl sie sich am gleichen Ort befinden, macht die minutiöse Verschiebung der Perspektive deutlich, dass jeder Blick auf jeden Ort zu jedem Zeitpunkt der Anfang einer ganz neuen Geschichte sein kann.
Dass die Arbeit der beiden Fotografinnen zugleich als Tagebuch einer Liebesgeschichte gelesen werden kann, öffnet eine weitere Ebene der Reflexion. Auf diesem Hintergrund spiegeln die Fotos erst die subtilen Unterschiede im Wesen der Frauen. Müller liebt die Rolle der Fordernden und Forschen; sie zeigt ihre Freude am eigenen Körper. Dietl wiederum versucht, sich dem Kamerablick zu entziehen. Sie schließt gern die Augen, wendet sich ab, verschwindet in der Umgebung.
Obwohl Barbara Dietl und Anja Müller vordergründig das Gleiche tun und sich symbiotisch geben, tritt in ihrer gemeinsamen Arbeit auf mehrenen Ebenen im Gleichen dadurch das Eigene mit großer Kraft erst hervor. WALTRAUD SCHWAB