die wahrheit: die freuden des passivrauchens
Buswartehäuschen, Imbissbuden und Bierhallen sind die bevorzugten Aufenthaltsorte ehemaliger Tabakkonsumenten - weil dort traditionell viel gedampft wird.
Ich habe meine Heimat verloren, meine Freunde - ich hocke auf einem fremden Planeten am anderen Ende des Weltalls, einsam und ohne Hoffnung, jemals wieder in mein altes launiges Leben zurückkehren zu dürfen. Denn ich habe mit dem Rauchen aufgehört.
Überschäumende Bewunderung wurde mir zuteil. Ich glaube, nichts verschafft dir heutzutage mehr Ansehen als mit dem Rauchen aufzuhören. In meiner Jugend belegte ich einmal einen gloriosen zweiten Platz im Landesentscheid von "Schüler lesen vor". Zwei Jahre später rettete ich ein unerhört niedliches Kätzchen vor dem Ertrinken. Beides aber brachte mir nicht halb so viel Beifall und Anerkennung ein wie die Heldentat, das Rauchen aufzugeben.
"Wow!", sagten die Raucher, meine alten Freunde: "Starke Leistung - könnten wir nie!" Die Nichtraucher, meine alten Feinde, waren erst recht aus dem Häuschen: Sie priesen ihren Schutzheiligen, weil er mich aus der Finsternis errettet hatte, tanzten im Kreis um mich herum und jauchzten nach Leibeskräften: "Komm", sagten sie, "du bist jetzt einer von uns! Lass uns das feiern und eine schöne Tasse Kamillentee zusammen trinken!" - "Uh oh danke - heute nicht, vielleicht ein andermal", stotterte ich und wollte mich zu meinen alten Freunden flüchten. Die aber waren schon verschwunden und hatten sich wahrscheinlich in eine nahe Raucherecke verzogen, um erst mal eine zu schmöken.
Ich werde kein Nichtraucher sein. Nie! Ich will nicht! Neulich war ich mit Rob verabredet. Auch er ist ein passives Raucherclubmitglied: Ein Raucher, der nicht mehr raucht. Wir spazierten durch den Botanischen Garten, setzten uns auf eine Bank am Teich und erinnerten uns an die vielen herrlichen Zigaretten, die wir hier gequarzt hatten. Danach teleportierten wir uns im Geiste auf die weinüberwucherte Terrasse eines griechischen Kafenions, in ein Raucherabteil des Nachtzugs Rom-Palermo, auf einen Biwakplatz in den Pyrenäen und schließlich in einen Partykeller in Osnabrück, wo anno 1983 eine legendäre Silvesterfete stattfand Wir rauchten noch einmal die wunderbarsten Zigaretten unseres Lebens, und weil das fast so gut schmeckte wie ein wirklicher Lungenzug, stellten wir uns anschließend vor, wie wir in zwanzig Jahren gemeinsam wieder mit dem Rauchen anfangen würden: Wir könnten zusammen verreisen, nach Hamburg zum Beispiel, uns an die Elbe setzen, den großen Schiffen zukucken und endlich, endlich wieder ein Päckchen aufreißen. "Super!", schnaufte ich, als wir nach Hause gingen: "Das machen wir bald noch einmal!" Und Rob nickte zufrieden.
Bei unserem nächsten Treffen allerdings klappte es nicht mehr so gut mit der Rauchsuggestion, und daher bin ich sehr froh, dass ich neulich auf eine neue Methode der Behelfsschmökerei gestoßen bin: Passivrauchen! Gern halte ich mich seitdem in Buswartehäuschen, Imbissbuden, Bierhallen und an anderen Orten auf, wo traditionell viel und leidenschaftlich gedampft wird. Denken Sie sich also nichts weiter, wenn Ihnen bei Ihrem nächsten Besuch in "Carlos Currywurst-Caravan" ein merkwürdiger Typ ein bisschen zu dicht auf die Pelle rückt: Er ist harmlos - er will bloß mal schnuppern.
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