die wahrheit: Schnellschüsse auf die Jungfer
Abkupfern ist im schreibenden Gewerbe geläufig. Aber wer wissen will, was "aufkupfern" bedeutet, muss mehr zur Hand nehmen als den Duden.
Abkupfern ist im schreibenden Gewerbe geläufig. Aber wer wissen will, was "aufkupfern" bedeutet, muss mehr zur Hand nehmen als den Duden. Zum Beispiel das "Lexikon der graphischen Technik", das Prof. Dr. Emil Rupp und sein Autorenkollektiv beim Leipziger Institut für graphische Technik einen Monat vor dem Mauerbau herausbrachten. Mit dem Stempel des Vorbesitzers - "VEB Fahlsberg-List. Chemische Fabriken. Magdeburg", der Nummer 9741 und dem quergestempelten "Ausgeschieden" landete es in einem Ostberliner Antiquariat und irgendwann bei mir: "Aufkupfern: Aufbringen einer Kupferschicht auf einen Tiefdruckzylinder."
"Cronaken" kennen die deutschen Seiten bei Google gar nicht und bei der Suche im gesamten Netz landet man im Rumänischen: "Cronaken: tratarea prealabila a placilor de aluminiu", ungefähr: "Vorbehandlung von Aluminium". Im DDR-Lexikon: "Das Vorpräparieren von Zinkplatten für den Offsetdruck zur Verhinderung von Oxydation". Dem einen sein Aluminium, dem andern sein Zink? Mitnichten. Das Vorpräparieren von Aluminiumplatten hieß laut ostdeutschem Lexikon nicht "cronaken", sondern "brunaken". Alles cro- und brunakenmäßig klar.
Die "Sachsenplatte" meint kein Pendant zur helvetischen Berner Platte (geräucherter Speck, Rippchen, Sauerkraut, Kartoffeln), sondern "eine in der Deutschen Demokratischen Republik entwickelte Bimetallplatte mit der Metallkombination Kupfer/Chrom für den Offsetdruck."
"Jungfer" hieß im Drucker-Slang des ganz nahen Ostens eine "fehlerlos gesetzte Seite", das wusste laut Firmengeschichte der Westler Erwin Jungfer nicht, der 1950 in Herzberg am Harz eine Zeitungsdruckerei kaufte, die bis heute als Jungfer Druck und Verlag GmbH besteht. "Nagra" ist kein Viagra für Frauen, sondern der Name eines Verschlüsselungssystems für digitale Fernsehprogramme. Im DDR-Druckwesen war es die Abkürzung für einen Fachnormenausschuss. Der "Schnellschuss" ist, bevor er im westlichen Zeitungs- und Verlagswesen zur Normalität wurde, die Bezeichnung für eilige Druckaufträge, die der "Schnellhase" ausführte - der beste Handsetzer, der auch mit seiner "Mignon" zurechtkam, einer 7-Punkt-Schrift.
Das vorzügliche Lexikon hat drei lexikonfremde Webfehler: Die Abkürzungen TGL, DDR und DIN - und nur diese drei - werden auf keiner der 471 Seiten aufgelöst. Ungewöhnlich. Und das hat politische Gründe, denn die Auflösung hätte auf die Existenz eines anderen deutschen Staates hingewiesen, was 1961 hüben wie drüben nur Ketzer riskierten. Warum man das Kürzel DDR nicht auflöste, ist klar. Wenn schon, dann ausgeschrieben - siehe oben. Aber warum TGL nicht? TGL steht für "Technische Normen, Gütevorschriften und Lieferbedingungen". Was die Normen betrifft, handelt es sich um die ostsprachliche Codierung von DIN (Deutsche Industrienorm). TGL 0-476 ist die Übersetzung für DIN 476, was einem Bogen A0 entspricht, einem Format von 841 mm x 1.189 mm. Die Null im TGL-Code steht für ein O wie Ost-Format.
Dies für jene, die den Enkeln in diesem großen Gedenkjahr 2009 erzählen wollen, wie kompliziert alles war - damals.
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