die wahrheit: Die Venus von Lengsfeld
Die CDU-Politikerin Vera Lengsfeld wirbt auf Plakaten mit ihrem Dekolleté. Es gibt dazu eine Vorgeschichte. Der Entschluss der CDU-Politikerin Vera Lengsfeld, im Wahlkampf...
...unter dem Motto "Wir haben mehr zu bieten" als Sexbombe aufzutreten und sich selbst sowie der Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einem Plakat vom Wahlvolk ungewöhnlich tief in den Ausschnitt schielen zu lassen, hat zu Irritationen in der christdemokratischen Parteispitze geführt und auch zu mancherlei Gespött. Doch Vera Lengsfeld wäre nicht Vera Lengsfeld, wenn sie klein beigäbe. "Es war meine Idee. Es sollte eine Überraschung sein", hat sie erklärt. "Ich habe das mit meinem Kreisverband abgestimmt."
Für Überraschungen ist Vera Lengsfeld auch früher schon gut gewesen. 1996, als sie noch für die Bündnisgrünen im Bundestag saß, rief sie zum Boykott der taz auf, nachdem Wiglaf Droste und ich in dem Fortsetzungsroman "Der Barbier von Bebra" geschildert hatten, wie Wolfgang Thierse mit einer Klarinette erdolcht worden sei, von einem Täter, der zudem den Lyriker Jürgen Fuchs in einem Shampoo-Fass ertränkt und den sagenhaft redseligen Pfarrer, Pazifisten und nachmaligen Verteidigungsminister Rainer Eppelmann mit einem Fußbad aus Zement in einem Baggersee versenkt habe.
"Eine Zeitung, die literarische Anleitungen zum Mord an Andersdenkenden (und Andersaussehenden, Andersfühlenden, Anderslebenden) druckt, benötigt eine Denkpause", verkündete Vera Lengsfeld damals in ihrem Boykottaufruf auf Bundestagsbriefpapier mit Bundesadler im Briefkopf, obwohl es jedem ernsthaft bestrebten Mörder außerordentlich schwergefallen wäre, die literarischen Anleitungen zum Mord mittels Klarinette, Shampoo-Fass und Fußbad zu befolgen.
Als konsequent Andersdenkende und Andersaussehende trat Vera Lengsfeld noch im selben Jahr der CDU bei und verfasste eine Autobiografie, die 2002 erschien: "Von nun an ging's bergauf … Mein Weg zur Freiheit". Darin nahm sie Jürgen Fuchs gegen Angriffe in Schutz, die "nicht gerade zimperlich" gewesen seien: "So produzierten zwei Autoren, die in der DDR zu der Kategorie der Honecker-Preis-Dichter gehört hatten und die das Verschwinden ihrer DDR-Privilegien nie verkraften konnten, ein Machwerk unter dem Titel ,Der Barbier von Bebra', in dem sie ihre posttraumatischen Vernichtungsfantasien auslebten. Sie nannten ihre Hervorbringung Satire, weil sie bei Tucholsky, der sich nicht mehr wehren konnte, gelernt hatten, dass Satire alles darf."
Damit hatte Vera Lengsfeld einen wunden Punkt berührt, denn das Verschwinden unserer DDR-Privilegien hatten der Ostwestfale Wiglaf Droste und auch ich als gebürtiger Hannoveraner tatsächlich nicht verkraftet, weil wir niemals in den Genuss dieser Privilegien gekommen und überhaupt erst von Vera Lengsfeld darüber informiert worden waren, dass wir in der Deutschen Demokratischen Republik zur Kategorie der Honecker-Preis-Dichter gehört hatten. Welch ein Jammer! Wir hatten ja keine Ahnung! Und wie gern hätten wir als privilegierte Honecker-Preis-Dichter bis zum Mauerfall in Wandlitz in importierter Bananenmilch gebadet!
Nach dem Eklat in Sachen Boykottaufruf wurde es stiller um die politische Autistin Vera Lengsfeld, doch im Stillen ging es immer weiter mit ihr bergauf, bis hin zu dem aktuellen Medientumult um ihr hochnotpeinliches Busenwunderplakat. "Wie sehr wir mit unserer Idee eingeschlagen haben, zeigt die Hektik, mit der versucht wird, mittels immer wieder recycelter besonders gehässiger Kommentare doch noch einen Skandal zu provozieren", heißt es im "Waehltverablog", den Vera Lengsfeld persönlich betreut. Dort findet sich auch die Aufforderung: "Hey, Jungs, entspannt euch! Wo ist eure sexuelle Befreiung geblieben?"
In ihren Memoiren hatte Vera Lengsfeld sich noch etwas skeptischer zu diesem Thema geäußert: "Sex und Polit-Agitprop sind aber eine besonders tödliche Mischung für die subtileren Inhalte von Kunst. So wie Sex jegliche Erotik tötet, denn Erotik ist nie direkt, sondern immer ,dessous', so tötet Polit-Agitprop das eigentliche Anliegen des Autors."
Vera Lengsfelds Anliegen, den Wählern zum Bewusstsein zu bringen, dass sie in der Bluse mehr zu bieten habe als im Oberstübchen, könnte möglicherweise ankommen. Über die kühne Behauptung, dass Sex jegliche Erotik töte, sollte der zuständige CDU-Kreisverband aber unbedingt noch einmal debattieren, und zwar gründlich und ergebnisoffen, denn es könnte sein, dass Vera Lengsfelds erotische Offensive jeglichen Sex in Deutschland zum Erliegen bringen wird. Und was dann?
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