die wahrheit: "Lass mich doch bitte ein "
Das wahre Weihnachtsmärchen: Eine grausige Gestalt zu Besuch in tiefschwarzer Nacht.
Mitten in der Nacht schreckte Kurt aus unruhigen Träumen auf. Etwas hatte ihn geweckt, doch er konnte nicht sagen, was es gewesen war. Kalter Schweiß rann seinen Nacken hinab, und eine düstere Vorahnung stieg in ihm auf. Sein Herz pochte laut bis in seine Schläfen, und eine tiefe, schwarze Urangst bemächtigte sich all seiner Sinne. Wirre Zerrbilder von überdimensionalen Holzmännern, die ihn, Kurt, zwischen ihren gigantischen Kiefern zermalmten, tauchten vor seinem innerem Auge auf. Kurt wollte schreien, doch seiner Kehle entrang sich nur ein heiseres Krächzen. Die Sekunden des Schreckens zogen sich wie Stunden des Entsetzens in die Länge.
Plötzlich vernahm er ein Geräusch von draußen. Etwas schien sich direkt vor seinem Fenster zu bewegen, es kratzte quietschend an der Scheibe wie Fingernägel auf einer Schultafel. Immer deutlicher konnte Kurt auch ein zartes Stimmchen erkennen. "Kuuuuuhuurt", säuselte das Stimmchen mit einer ungesunden Süße, die Kurt die Haare zu Berge stehen ließ. "Kuuuuuhuuurt, mach mir doch bitte aaaahaaauf …" Kurt wollte sich die Bettdecke über den Kopf ziehen, doch er konnte sich nicht bewegen und starrte gebannt zum Fenster. "Kuuuuuuhuuurt, mach mir bitte aaaahaaauf! Ich bin das Christkind und möchte dir gern etwas schenken."
Kurt rührte sich nicht, er war wie kristallisiert. Er hörte, dass sich jemand am Fenster zu schaffen machte. Es ruckelte am Fensterrahmen, das Holz ächzte unter starkem Druck. "Kuuuhuuurt, lass mich bitte ein, es ist so kalt, der Winter, lass mich nicht erfrieren", flötete das süßliche Stimmchen wieder, jetzt etwas nachdrücklicher. Kurt hörte ein schrilles Glöckchen erklingen, dessen harter, metallener Ton ihm eisige Schauer über die Haut jagte. Klingelingelingeling …
Ein sirrendes, summendes Klirren erfasste die Scheiben, wie brechendes Eis, das von Schlittschuhen zerschnitten wird. Jetzt bewegte sich der Fensterriegel ruckartig hin und her, das Holz des Rahmens knirschte bedrohlich, und mit einem langgezogenen Seufzen brach er endlich entzwei - und das Fenster schwang auf. Und da, da war es! Blondgelockt, nackt und fett schwebte das Christkind auf Kurt zu. Klingelingelingeling … Ein betäubender Geruch von Lebkuchen und Spekulatius begleitete es und raubte Kurt beinahe den Atem. "Kuuuhuurt, ich bin das Christkind! Morgen ist mein Geburtstag, und da erfülle ich dir all deine Wünsche! Sag, was wünschst du dir?", fragte es mit spitzen, blitzenden Zähnen hinterhältig lächelnd.
Kurt starrte die Erscheinung zitternd an, er wollte etwas sagen, doch sein Kopf war leer geblasen. Er brachte keinen Gedanken zustande und erst recht keinen Ton heraus.
"Ach, du hast keine Wünsche, Kurt? Schade, denn dann bekommst du auch nichts!" Und mit einem irren Kichern verschwand das Christkind wieder in der Dunkelheit. Klingelingelingeling …
Kaum war es weg, fielen Kurt alle seine Wünsche wieder ein. Wütend biss er in sein Kopfkissen. Es war jedes Jahr dasselbe!
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