die wahrheit: Brauen des Grauens
Um die Katze gleich auf den Tisch zu legen und die Karten aus dem Sack zu lassen:...
... Ein Besuch der gerade beendeten Frida-Kahlo-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau kam für mich nicht in Frage. Dafür fühle ich mich von der verschnürten Dame auch zu Hause schon zu sehr eingeengt. Seit nämlich meine Familie im Laufe der Jahre nahezu alle Wände von der Speise- bis zur Besenkammer mit den einschlägigen Highlights der Mexikanerin zugepostert hat, lebe ich in ständigem Schrecken vor ihren Selbstporträts. Kaum hat man einmal gute Laune, schon blickt sie einen finster und strafend an.
Besonders schlimm ist es im Winter. Da will man Kaffee kochen in der Früh, macht das Licht an - und was hängt überm E-Herd an der Wand? Wieder diese Fledermaus mit ausgebreiteten Flügeln über ihrer Nasenwurz! Klar, es sind nur die kahloschen Augenbrauen. Aber auf jedem Bild ist es dasselbe: Augenbrauen, Augenbrauen, Augenbrauen! Kein Bild ohne diese schwarzen Kondorschwingen über den ebenso schwarzen Augen …
Hat sie denn kein Geld für einen Hut gehabt, den sie sich während des Malens sanft über die Stirne hätte rutschen lassen können? Oder wenigstens eine abschirmende Sonnenbrille? Sonst hat sie doch alles Mögliche draufgepinselt auf die Bilder: Mal sitzt ihr ein Äffchen auf der Schulter, mal hüpft sie als von Pfeilen durchbohrte Hirschkuh durch den lichten Wald; und dann wieder lugt ihr der weltberühmte Schwerenöter Diego aus dem Knopfloch. Aber nie drapiert sie die Bildbeilagen so geschickt, dass diese Augenbrauen endlich mal verschwinden.
Würde wohl die Mona Lisa mit solchen Wuchtbrummen von Augenbrauen heute im Pariser Louvre hängen? Bei der ahnt man allenfalls zarte Schatten auf der Stirn. Kann sein, dass Leonardo da Vinci seinerzeit vor dem Porträtieren mit Peeling-Accessoires drübergegangen ist, aber der Erfolg hat ihm schließlich recht gegeben.
Und es ist doch auch kein Zufall, dass es von fast allen Nachkriegspolitikern Porträts gibt, dass sich aber kein Künstler an Theo Waigel rangetraut hat. Nicht auszudenken, der ehemalige Finanzminister würde jetzt mit all seiner Brauenpracht bei uns neben einem Kahlo-Bildnis hängen. Noch eines dieser Haarmonster kann niemand ertragen. Da bliebe nur der Auszug.
Man kann doch wohl von einer Künstlerin erwarten, dass es noch andere Motive gibt als Augenbrauen. Warum hat sie die nicht angezündet – so wie Dali die Giraffe? Auch andere Künstler waren schließlich bettlägrig – etwa der arme Poet von Spitzweg. Prahlt der aber deshalb gleich mit seinen Augenbrauen? Ach was, der hat sich eine Schlafmütze halb drüber gezogen und gibt sich mit dem Halbprofil zufrieden.
Ein Kahlo-Porträt trägt dafür den Titel "Diego in My Mind". Da wächst ihr sogar der untreue Lümmel aus dem Stirngestrüpp heraus. Wohnlich kann man das nun wirklich nicht nennen. Ob Rivera sie deshalb sitzen ließ, weil das immer so gekratzt hat? Bei Frida Kahlos Augenbrauen tappt die Kunstgeschichte noch immer schwer im Dunkeln.
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