die wahrheit: Zum Beten verurteilt
Alkohol lockert die Zunge. Meistens ist das von Nachteil. Das musste auch der 38-jährige Joseph McElwee aus der nordwestirischen Grafschaft Donegal einsehen....
... Als er vor seiner Stammkneipe eine Zigarette rauchte, weil das Rauchverbot in öffentlichen Räumen selbst in den entlegensten Winkeln der Grünen Insel eingehalten wird, kam der Polizist Nicholas Freyne vorbei.
McElwee kannte ihn, er wusste, dass er aus der Nachbargrafschaft Mayo stammte, und begann sogleich, ihn als "Mayo-Wichser" zu beschimpfen. Dann legte er ihm nahe, sich gefälligst "zurück nach Mayo zu den anderen Wichsern" zu verpissen. Die Schimpfkanonade dauerte geschlagene zehn Minuten. Freyne hörte sich alles in Ruhe an. Danach nahm er McElwees Personalien auf und zeigte ihn wegen Beleidigung, Androhung von Gewalt, Volltrunkenheit, schlechtem Benehmen und Missachtung der Anweisungen eines Polizisten an.
Nun stand McElwee vor Gericht. Sein Verteidiger erklärte, sein Mandant sei ein arbeitsloser Schreiner. Er sei verheiratet, habe zwei Kinder und sei ein völlig unbescholtener Bürger. Ja, er habe in seinem Leben bisher recht wenig geflucht. Irgendetwas müsse in den Getränken gewesen sein, argumentierte der Anwalt. Dafür habe der Richter sicher Verständnis.
Hatte er nicht. Mit Entsetzen vernahm McElwee, dass Richter Seamus Hughes mit breitem Mayo-Dialekt sprach. Die Voraussetzungen für einen Freispruch waren äußerst schlecht, das war McElwee klar. Ob er schon mal in Mayo gewesen sei, wollte der Richter wissen. Nein? Nun, dann solle er die Grafschaft kennen lernen. Hughes verurteilte den Angeklagten, binnen eines Monats auf den Croagh Patrick in Mayo zu klettern, vier Stationen des Kreuzwegs zu absolvieren und ein paar Gebete zu sprechen. Dann ändere McElwee vielleicht seine Meinung über die Leute aus Mayo.
Der Croagh Patrick ist der heilige Berg der Iren, Zehntausende von Sündern erklimmen ihn jedes Jahr zur Buße. Zwar ist er nur 753 Meter hoch, aber der Aufstieg ist mühsam. Die letzten 500 Meter sind eine Tortur. Der Weg führt über ein Geröllfeld steil zum Gipfel. Irlands Schutzpatron Patrick, nach dem der Berg benannt ist, soll im Jahr 441 auf dem Gipfel 40 Tage gefastet und Pläne für die Christianisierung der Insel geschmiedet haben.
McElwees Anwalt lachte über den vermeintlichen Scherz des Richters, doch der meinte es ernst. McElwee wurde dazu verdonnert, in einem Monat erneut vor Gericht zu erscheinen - und zwar mit Beweisen, dass er auf dem Berg war. Wie um Himmels willen solle er das denn beweisen, fragte der Anwalt. "Ich werde ein paar Fragen stellen, die er nur beantworten kann, wenn er oben war", sagte Hughes. "Und ich rate ihm, die Antworten parat zu haben. Dann weiß ich, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht."
Joseph McElwee murmelte, er würde lieber in den Knast als in eine Grafschaft voller Wichser gehen, sagte das aber lieber nicht laut. Sonst hätte ihn Hughes womöglich dazu verurteilt, wie Patrick 40 Tage auf dem Berg auszuharren. Ohne Alkohol.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett