piwik no script img

die wahrheitSchnaps fürs Frischfleisch

Das künftige Freikorps des Bundes formiert sich.

Als kleines Dankeschön werden die Gebisse der Freiwilligen saniert. Bild: ap

"Mitkommen!", brüllt eine befehlsgewohnte Stimme, und eine schwere Hand legt sich auf meine Schulter. "Bitte mitkommen!", säuselt eine wesentlich verbindlichere Stimme. "Ist ja jetzt alles freiwillig hier." Eine zweite Hand tätschelt begütigend meine Schulter.

Ich bin zum Hintergrundgespräch in der neu geschaffenen Freiwilligenarmeekoordinierungspersonalstelle (abgekürzt: Freikorps) der Bundeswehr verabredet, und die Hände gehören den beiden Presseoffizieren Roßbach und Bürstenfeger. Es ist fünf Uhr morgens, und ich muss eingenickt sein.

"Frühmorgens ist am meisten los", hatte Roßbach bei unserem ersten Telefonat gesagt. "Da kommt det Frischfleisch", hatte eine Stimme im Hintergrund gebrüllt, deren Inhaber Roßbach als "Kamerad Bürstenfeger" vorgestellt hatte.

"Sind das etwa Schmisse in Ihrem Gesicht?", frage ich etwas unsicher, als ich Kamerad Bürstenfeger nun leibhaftig gegenüberstehe. "Beim Rasieren geschnitten", erklärt Roßbach lässig. "Mitm Säbel rasiert", ergänzt Bürstenfeger.

Die beiden Freikorps-Männer salutieren lässig, als die Tür aufspringt und zwei Unformierte einen betrunkenen jungen Mann hereinschleppen.

"Ein Rekrut, der nicht rechtzeitig zum Appell angetreten ist?", rate ich. "Ein Freiwilliger, der sich soeben für 23 Monate Wehrdienst entschieden hat."

"Er hat eines der physisch wie psychisch herausfordernden Bewerbungsverfahren durchlaufen, die wir in geeigneten Assessmentcentern anbieten", erklärt Roßbach, der beruflich ursprünglich aus der Wirtschaft kommt.

"Jawoll, im Goldenen Hirschen", lacht Bürstenfeger, der beruflich aus ebendieser Wirtschaft kommt. Eine Gruppe junger Männer schneit herein, ihre T-Shirts weisen sie als "Kommando Schluckspecht" aus. Bevor der Rüdi heiratet, wollen sie alle nochmal was total Verrücktes machen, erklärt ihr Wortführer und will wissen, ob der Bus nach Lloret de Mar schon weg ist. "Das ist hier doch von Rainbowtours?", fragt er.

"Wir arbeiten mit zahlreichen Anbietern aus dem Jugendbereich zusammen", erläutert Roßbach und lässt die Jungs ihre Papiere unterschreiben. Damit ist alles geregelt, falls euch im Ausland was passiert, sagt Roßbach.

Ein Gruppe Kosovaren drängt zum Schalter und versucht sich ebenfalls freiwillig zu verpflichten, um einer drohenden Abschiebung zu entgehen.

"Det jeht ja zu wie bei der Fremdenlegion", freut sich Bürstenfeger und bietet mir einen Latte macchiato an. Die in adretten Tarnfarben gehaltene Kaffeemaschine stammt aus den Mitteln des "Attraktivitätsprogramms" der Bundesregierung und wurde für einen dreistelligen Millionenbetrag beschafft.

"Wir sind eine moderne Dienstleistungsarmee", stellt Roßbach richtig. "Kosteneffizient und ökologisch nachhaltig, aber ein hochattraktiver Arbeitgeber für leistungsbereite Bewerber."

Mit einigen Bewerbern hatte ich mich bereits angefreundet. Mit Maik und Rocco aus Zschopau, denen der Bund nicht nur hochwertige Spielkonsolen, sondern auch die Sanierung ihrer Gebisse zugesagt hatte, mit Orhan aus Essen-Katernberg, dessen Dönerbude pleitegegangen ist, und mit Janis-Cheyenne aus Freiburg, die ihren Hippieeltern eins auswischen wollte. Sie alle absolvieren in diesem Moment bereits ihre Grundausbildung, an deren Ende sie sich freiwillig für einen Auslandseinsatz oder die sofortige Rückzahlung der Ausbildungsgebühren entscheiden können.

Die Bewerbung der Kosovaren wird abgelehnt, weil sie keine deutsche Staatsbürgerschaft vorweisen können. Dafür hätten sie Kampferfahrung, behaupten sie. Bürstenfeger fegt den Einwand sowie die eilig zu Rate gezogenen Dienstvorschrift mit einer raschen Handbewegung vom Tisch. Es gehe jetzt darum, den Grundgedanken des Freiwilligendienstes an der Gesellschaft zu formen, sagt er und teilt die Kosovaren zum Dienst in der "Brigade Guttenberg" ein. Dort sollen sie vor allem fürs Stiefelputzen, die Fouragierung und das Ausrichten zünftiger Scharmützel zuständig sein.

Dann wendet er sich wieder mir zu. "Jetzt gehen wir erst mal einen trinken und reden ganz in Ruhe über deine berufliche Zukunft, mein Junge", poltert der sympathische Kommisskopp und gießt mir einen Schnaps ein. Als ich wieder zu mir komme, steht ein junger Soldat vor mir. Er stellt sich als Presseoffizier Roßbach vor und bedauert die Verspätung.

"Sind Sie vom Freikorps?", frage ich verschlafen und schaue mich im leeren Büro um. "Wir sind eine moderne Dienstleistungsarmee", sagt Roßbach leicht säuerlich. "Kosteneffizient und ökologisch nachhaltig, aber ein hochattraktiver Arbeitgeber für leistungsbereite Bewerber."

"Dann ist ja gut", sage ich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • B
    busenbender

    Absolut realistisch formuliert. Ohne Kaffeemaschine funktioniert keine Kriegsmaschine, nicht mal in Vietghan...