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die wahrheitGuerilla-Stricken ist so was von out

Neues aus Neuseeland: Was ist der Zeitunterschied zwischen Berlin und Neuseeland? Nein, nicht zwölf Stunden. In Berlin ist es 2011 und in Neuseeland 1991. Ja, das ist ein ganz fieser Witz. ...

Was ist der Zeitunterschied zwischen Berlin und Neuseeland? Nein, nicht zwölf Stunden. In Berlin ist es 2011 und in Neuseeland 1991. Ja, das ist ein ganz fieser Witz. Wer behauptet, mein Adoptivland sei altmodisch und hinterwäldlerisch, verletzt meine kiwianischen Gefühle. Es schmerzt einen Neuseeländer sehr, vom Rest der Welt ignoriert zu werden und ständig zu hören, wie hip es woanders zugeht. Wann sind wir jemals Avantgarde? Druckt man in New York irgendwann Tui-Vögel und Flachsbüsche auf schwarze Merino-Shirts und veredelt jeden Aschenbecher mit Abalone-Muschel-Dekor?

Das Schöne an Neuseeland ist, wie der Name schon sagt, dass alles so neu ist - zumindest für uns Zurückgebliebene. Alles, was halbwegs aufregend ist, wird entsprechend abgefeiert. Ob Pechakucha-Abend oder "Dr. Sketchy" - ich will, dass die ganze Welt davon erfährt, was wir in der verkannten Kulturhochburg Christchurch schon alles auf die Beine gestellt haben. Und erfahre dann, dass die eine Präsentation aus Japan stammt und das andere Vergnügen - Aktzeichnen um die Wette in einer Kneipe - aus London oder Sydney. So n Pech. Mal wieder die Letzten, aber immerhin dabei.

Überhaupt, Australien. Zum Beispiel der weich auf der Kopfspitze zusammengefasste Dutt: Als der blonde "Bondi Bun" dort bereits in den Out-Listen auftauchte, sah ich gerade die ersten Exemplare auf den Köpfen der modischsten Mädchen Lytteltons wachsen. Vielleicht waren sie zumindest in der Metropole Auckland schneller. Und die allseits beliebten Ringstecker, die Männerohrläppchen bis zum Durchgucken dehnen - laut Moritz von Uslar trägt man die nur noch in der Mark Brandenburg. Warum sagt uns das keiner? Manche Evolutionsstufen könnten wir ja einfach überspringen.

Im vorigen Jahr war ich ganz entzückt, als Christchurch einer Garnattacke ausgeliefert war. In einer Nacht- und Nebelaktion verzierte eine subversive Spaßtruppe Denkmäler mit "Granny Graffiti": Ein gestricktes Handtäschchen am Arm von Kapitän James Cook, eine gehäkelte Stola um den Bronzehals der Frauenrechtlerin Elsie Locke, das Wort "Love" aus Wolle in einen Zaun geflochten - wie erfrischend anders, wie verrückt! Ich wollte bereits eine Kolumne über das Phänomen namens "Guerilla-Stricken" verfassen. Einmal gegoogelt, und dann war klar: Das war ja so was von 2009. Gähn.

Jetzt bin ich mal gespannt auf "Guerilla freecyling". Das fand vor kurzem in Paris statt. Ein Koffer steht auf der Straße, aus dem Passanten sich etwas nehmen dürfen, wenn sie dafür einen persönlichen Gegenstand zurücklassen. Könnte fünf Jahre dauern, bis dieser Trend hier ankommt - oder auch nie. Denn eigentlich haben wir so was schon längst: Nennt sich mal Altkleidertausch, mal Bücherbörse ("take one, leave one"). Und außer Facebook gibts in Aotearoa übrigens ein total innovatives soziales Netzwerk. Man sitzt seinen Freunden direkt gegenüber, kann kostenlose Live-Gespräche in Top-Qualität führen und dabei Fotos tauschen. Es ist wie Skype, aber in 3-D. Kiwis nennen es "Pub" oder "Café".

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5 Kommentare

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  • G
    gertrud

    So'n Schiet, jetzt wollte ich mich, nachdem ich die ganze Familie mit selbstgestrickten Strümpfen etc. versorgt habe, mal daran machen unsere Gartenstadt Neuenhagen zu bestricken und nun ist das aber so was von out. Na egal, dann bestrick ich eben den eigenen Garten, da hat mein Mann ne Korkenzieherweideplantage angelegt und ärgert damit die Nachbarn und wo keine Korkenzieherweiden wachsen da wachsen Kirschlorbeer ohne Ende, ach ja, ne Birke wächst hier auch. Wir haben ein Reihenhaus, zwar Ecke, aber trotzdem eben Reihenhaus. Als werd ich mich jetzt mal an die Korkenzieherweiden machen und unsere Katzen sowie die der Nachbarschaft erfreuen.

    Gerti

  • H
    HUgendubel

    Während die Restwelt noch Justin Biebers Twitterpause verkraften muß, trifft man sich in Neuseeland im Café und babbelt miteinander. Während die kritische Hamburger Inteligenzia, ders vor kurzem nicht die halbe Heimatstadt zerkloppt hat, zusammen mit dem noch nie in Verbindung mit linkspopulistischen Ereignissen, seit 40 Jahren leergeschriebenen leserwerbend wirksam in Krümmel auftretenden G.Grass ihre rechtschaffene Gesinnung abfeiert für Probleme, die größtenteils vor ihrer Geburt entstanden. Wieviele jetzige Protestler haben damals protestiert, daß ihre Windeln mittels Atomstrom betriebener Waschmaschinen gewaschen wurden. Doch halt: die trugen Wegwerfwindeln, der Albtraum der Müllverbrennungsanlagentechniker.

    Nur zu, Anja, man soll die Wahrheit verkünden wo es ihr bedarf, und nicht, wo alle gleicher Meinung sind! Wohlgemerkt, was Schweden in Deutschland erwartet, wenn sie sich in Landesangelegenheiten großtun, mußte einst im Dreißigjährigen Krieg der König Gustav Adolf schon erfahren.

  • SL
    Sam Lowry

    Noch gravierender ist die Zeitdilatation in Wien: Da kommt alles 30 Jahre später, also ist da jetzt 1981. Wenn also die Welt am 20.12.2012 untergeht, sollte man zumindest einen Zweitwohnsitz in Wien haben.

  • T
    Thea

    Anke Richters Berichte aus Neuseeland sind interessant und lesenswert- jetzt hat sie sogar ein Buch über ihr Lieblingsland geschrieben.

    Dumm nur, dass sie es offensichtlich nötig hat, ihr Buch auf der VATTENFALL-Propaganda-Lesewoche in Hamburg vorzustellen. Die kritische Hamburger Literatur- und Kunstszene hat sich in diesem Jahr für einen vollständigen Boykott dieser atomaren Literaturveranstaltung entschieden - selbst Günther Grass wird an einer literarischen Protest-Performance

    vor dem VATTENFALL-Schrott-Atommeiler Krümmel teilnehmen. Anke aus Neuseeland befindet sich bei ihrem literarischen Auftritt in Hamburg offensichtlich in verdammt schlechter Gesellschaft.

  • T
    timbo

    Ein ganzes Land, so knisternd und brodelnd wie Coesfeld? Muss ich hin!