die kunst der elektrischen stromerzeugung von WIGLAF DROSTE :
Um 22 Uhr 10 am Mittwochabend stimmten The Who „My Generation“ an, die Menge in der Berliner Arena nahm es verzückt entgegen. Es war ein warmherziger Moment an einem elektrisierenden Abend. Dabei ist das nun wirklich nicht „meine Generation“ – Pete Townshend und Roger Daltrey sind ganze drei Jahre jünger als meine Mutter. Die Musik der Band hatte ich vor 25, 30 Jahren gehört und gemocht, war aber nie harter Fan gewesen und hatte also weder sentimentale noch nostalgische Gründe, ein Konzert von The Who zu besuchen – umso besser. Die rare Gelegenheit auszuschlagen, den Herren Townshend und Daltrey wenigstens einmal im Leben persönlich bei der Arbeit zuzusehen und -zuhören, hätte ich mir nicht verziehen.
Viele Berliner sahen das anders; weil der Vorverkauf etwas schleppte – von 3.500 Karten war die Rede –, wurde das Konzert von der Freiluftbühne Wuhlheide in die Blechkiste Arena verlegt. Die bei hochsommerlicher Temperatur in eine Sauna verwandelte Halle bezeichnete Pete Townshend später drastisch, aber nicht falsch als „shithole“. Der Spielfreude dieses fantastischen Gitarristen konnte das lieblos-hässliche Ambiente dennoch nichts anhaben. Der 62-jährige Townshend barst vor Energie und zeigte, dass der hunderttausendfach totgejuckelte Rock ’n’ Roll in Ausnahmefällen, wie er selbst einer ist, seine vitale Berechtigung hat.
Es gibt gute Gründe, aggressive Rockmusik zu spielen: Verzweiflung, Wut und den Wunsch, sich den Weg freizuschießen – in die Welt hinein oder aus ihr heraus. Mit „The Kids are allright“ zeigte Townshend, dass er nicht vergessen hatte, wie es einem als Heranwachsender geht. Ihr seid nicht scheiße, weil ihr Mist baut und euch mies fühlt, sagte Townshend, und seine Gitarre sagte es noch viel klarer. Kein Wunder, dass die Pädagogen und Sozialarbeiter aller Fraktionen sauer wurden: Dem hatten sie nichts entgegenzusetzen. Und haben es heute immer noch nicht. Weshalb sie ja auch so froh sind, wenn sie sich an jeden Massenaufmarsch anflanschen können – und sei es an eine Papstparade, also die Party der Gottentotten.
Ich weiß nicht, was die Kollegen heute in ihren Blättern über das Konzert von The Who berichten werden, wir schrieben ja gestern zeitgleich. Aber sollten Sie irgendwo die Phrase „Altherrenrock“ lesen, vergessen Sie’s. Townshend und Daltrey zündeten ein reinigendes Feuer an, archaisch, voller Kraft und hoher musikalischer Kunst. Stützen können sie sich auf eine Band, um die sie jeder große Rockmusiker beneiden muss: Pino Palladino, der nach dem Tod von John Entwistle als Bassist einsprang; der familiär verbundene Gitarrist Simon Townshend; der Keyboarder John Bundrick, der den Schlussapplaus mit dem Kopf am kühlungsspendenden Ventilator entgegennahm; der Schlagzeuger Zak Starkey, der Sohn von Ringo Starr, der im langärmligen Hemd mit geschlossenem Kragen zeigte, wie man feinen Stil, rhythmische Perfektion, Hochdruck, Wumms und Virtuosität verbinden kann.
Die Halle dampfte im Glück, die Heizer auf der Bühne warfen Schüppe um Schüppe nach. Es war brachial ohne einen Anhauch von Dumpfheit. In den Adern floss elektrischer Strom.