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die anderen

Über die Einstellung des Verfahrens gegen Exbundeskanzler Helmut Kohl schreibt die römische Zeitung La Repubblica mit Blick auf italienische Schmiergeldskandale in der Vergangenheit: Die deutsche Tangentopoli-Schmiergeldaffäre endet mit Geldbußen. Eine Strafe von 300.000 Mark für Exkanzler Kohl, eine Kleinigkeit in Anbetracht der Anklage wegen Untreue und der mehr als zwei Millionen Mark in schwarzen Kassen. Und eine Buße in Höhe von 45.000 Mark für den Ex-schatzmeister der CDU, Walther Leisler Kiep, wegen Steuerhinterziehung. Auch ihre Strafregisterauszüge bleiben unbefleckt, als hätten sie nur falsch geparkt. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss hat keine Mittel, um den Ex- kanzler zum Reden zu bringen. Wir werden deshalb die Namen der anonymen Spender nie erfahren.

La Stampa aus Turin meint zum gleichen Thema: Aus der Ferne erscheinen uns die anderen immer besser zu sein. Aber es ärgert einen schon, dass die deutschen Tangentopoli-Schmiergeldaffären schon wieder beendet sind, nach weniger als drei Jahren. Der Beschuldigte war Helmut Kohl, der größte europäische Staatsmann der vergangenen 20 Jahre. Trotzdem oder vielleicht genau deswegen lief alles im Vergleich zu den tragikomischen Ereignissen in Italien mit Würde ab. Auch in Deutschland stürzte ein System der Macht, und die Christdemokraten sind anders als in Italien in die Opposition gegangen. Kohl hat die Staatsanwälte beschuldigt, Kommunisten zu sein, und Deutschland wird ohne Halsstarre vorangehen.

Und schließlich schreibt die Süddeutsche zu Kohl: Sicherlich: Zigtausend Ermittlungsverfahren werden jährlich eingestellt. Warum sollte nicht auch Helmut Kohl vom Opportunitätsprinzip profitieren? Ganz einfach deswegen nicht, weil eine Einstellung in seinem Fall nicht opportun ist: Solange Kohl nicht sagt, wer ihn rechtswidrig finanziert hat, wird das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung durch keine Geldbuße der Welt ausgeglichen. Da hilft es auch nichts, dass Kohl Geld gesammelt hat, um den finanziellen Schaden seiner Partei auszugleichen; ein Unfallauto bleibt ein Unfallauto, auch wenn der Schädiger Reparaturkosten bezahlt. Die Staatsanwaltschaft hat mit dem Verfahren Kohl (wieder einmal) eine Chance vertan – die Chance zu beweisen, dass sie zur Aufklärung strafrechtlich relevanter politischer Skandale etwas beitragen kann. Welcher der großen politischen Skandale der Bundesrepublik ist strafrechtlich aufgearbeitet worden? Keiner. Die Instrumente des Strafrechts kratzten, wenn überhaupt, nur an der Oberfläche.

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