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Schwarz-Rotes RentenpaketAuf falsche Fragen zur Rente folgen falsche Antworten

Ulrike Winkelmann

Kommentar von

Ulrike Winkelmann

Einigen wenigen Unionsabgeordneten gelang es, die Koalition existenziell zu bedrohen. Es zeigt, wie überfordert die Republik von der weltpolitischen Gesamtlage ist.

Die „Rentenrebellen“: nichts anderes als altvertraute wirtschaftsliberale Politik entlang von Arbeitgeberinteressen Foto: Kay Nietfeld/dpa

D ie Diskussion über die Rente hat viele merkwürdige Züge, einer davon: Die Forderungen der Jungen Union werden in der öffentlichen Wahrnehmung moralisch erstaunlich überhöht, geradezu romantisiert – ganz so, als stünde die Junge Union wirklich für die Generationengerechtigkeit, die sie für sich reklamiert. Dabei weist darauf wenig hin.

Das Argument, dass das Beibehalten des Rentenniveaus über 2031 hinaus zu teuer sei, entspricht nur der Forderung, die künftigen Rentenansprüche aller zu kürzen, also auch die der heute Jüngeren. Im Ergebnis sollen die Leute sich mehr selbst, also privat, um ihr Auskommen im Alter kümmern. Damit macht die Junge Gruppe im Bundestag, die inzwischen den Kosenamen „Rentenrebellen“ trägt, nichts anderes als altvertraute wirtschaftsliberale Politik entlang von Arbeitgeberinteressen.

Dass es einer überschaubaren Anzahl von Abgeordneten damit gelingt, die komplette Republik in Atem zu halten und sogar den Fortbestand der Koalition zu bedrohen – das zeigt erstens, wie miserabel die Kommunikation zwischen Kanzler Friedrich Merz, Fraktionschef Jens Spahn und den Partei- und Fraktionsgliederungen der Union funktioniert.

Es zeigt zweitens aber auch, wie sehr die Republik von der weltpolitischen Gesamtgemengelage überfordert ist, dass das Thema Finanzierbarkeit der Rente auf so verquere und falsch betonte Weise in den Mittelpunkt rückt. Die künstliche Aufregung etwa über die Auftritte der Arbeitsministerin Bärbel Bas bei den Arbeitgebern und den Jusos erzeugt dabei einen dramatischen Feuerschein, der die Lage zusätzlich verzerrt.

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Tief gesunken

Dabei ist die Finanzsituation aktuell erst einmal nicht besonders besorgniserregend. Der Rentenbeitrag liegt seit 2018 bei 18,6 Prozent. 1998 war er schon einmal bei 20,3 Prozent, 2007 bis 2011 bei 19,9 Prozent. Das Beitragsniveau ist also über die Zeit eher gesunken und seit Längerem stabil, obwohl der Anteil der Über-65-Jährigen an der Bevölkerung stetig gestiegen ist. Doch die Zuwanderung und die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen haben die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erhöht, und natürlich wurden die Rentenansprüche bereits erheblich beschnitten.

Dank dieser Kürzungen ist das Rentenniveau in Deutschland tief unter den Schnitt der industriellen Vergleichsländer gesunken, wie gerade etwa die OECD wieder feststellte: Die deutschen Renten sind deutlich unter Mittelmaß, und das gilt noch einmal mehr für GeringverdienerInnen. Soll heißen: Die drittgrößte Exportnation der Welt leistet sich ein mageres und unausgewogenes Rentensystem.

Die Frage, die jetzt von der neuen Rentenkommission zu bearbeiten ist, kann daher unmöglich von einer weiteren Senkung der Leistungen handeln. Sie muss davon handeln, wie mit den bevorstehenden Veränderungen am Arbeitsmarkt so umzugehen ist, dass das System gerechter wird und Lasten gleichmäßiger verteilt werden. Denn tatsächlich wird es für alle Sozialsysteme schwierig, wenn in den kommenden Jahren mehr Beschäftigte aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden als nachwachsen oder einwandern.

Auch hierzu werden allerdings dramatisierende Zahlen verbreitet: Ja, die Boomer gehen in Rente, und das sind viele. Aber die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte zeigen, dass sich Abgänge vom Arbeitsmarkt auch kompensieren lassen. Die drittgrößte Exportnation müsste dann allerdings dafür sorgen, dass Bildung und Ausbildung auch so funktionieren, dass ebenso qualifizierte FacharbeiterInnen nachkommen, wie jetzt bald gehen.

Sie müsste sich eingestehen, dass das deutsche Erfolgsmodell – grob zusammengefasst: unter dem Schutz der USA mit russischem Gas Verbrennerautos für China bauen – jetzt am Ende ist. Es braucht neue, bessere Ideen für ein nachhaltiges und selbstverantwortliches Wirtschaften. Dazu hört man von der Arbeitgeberseite leider ebenso wenig wie von der Jungen Union. Sie beherrschen nur den alten Song vom teuren Sozialstaat.

Zu glauben, dass mit der Senkung des Rentenniveaus ein Wohlstand gerettet werden könnte, der auf einem überkommenen Geschäftsmodell beruht, ist absurd. Insofern führen Junge Union und Arbeitgeberlager eine Rentendebatte wie der Mann, der laut jammernd unter der Straßenlaterne seinen Schlüssel sucht; auf die Frage, ob er den Schlüssel denn wirklich dort verloren habe, sagt er: „Nein, da hinten. Aber da scheint kein Licht.“

Die Diskussion um Deutschlands künftigen Wohlstand spielt sich nun schon seit Monaten in der Renten- und Sozialpolitik ab, weil ein politisches Lager sich nur dort die vertrauten Antworten hin und her reichen kann. Es sind falsche Antworten auf falsche Fragen.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge und inzwischen auch Katrin Gottschalk. Vorher: Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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1 Kommentar

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  • Sehr geehrte Frau Winkelmann, vielen Dank für diese zutreffende Analyse.



    Ich habe Mitglieder der Jungen Union zeitlebens erst als Biertrinker, dann als BWLer und schließlich als Möchtegerkarrieristen kennen gelernt.



    Ein Ansatz von " wild " ("junge Wilde ") ist da schlechtestenfalls beim Wippen auf den Biertischen zu Balkermannmusik.



    Statt Rebellisch kann hier eher von Egozentrisch gesprochen werden.



    Dass die junge Union mit Friedrich Merz auf das falsche Pferd gesetzt hat, haben sie leider mit einer Menge WählerInnen gemein.



    Immerhin merkt Merz , noch kurz vor dem Eisberg, dass das Ruder herumgerissen werden muss.



    Die etwas Schlaueren in der " jungen Gruppe" sind dann , karriereorientiert, zurück gerudert.



    Im Gegensatz zum Allgemeinen Gemecker hat die SPD, einen Tag später, bereits eine weitere Reform vorgelegt. Der Finanzminister schlägt einen Ersatz der Riester-Rente vor.



    So unterscheiden sich Blockade und konstruktive Politik.