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der leitartikelFür Sahra Wagenknecht sind die Koalitionen in Brandenburg und Thüringen ein großes Risiko

Von Daniel Bax

Was hatte es im Vorfeld nicht an Warnrufen gegeben: Wagenknecht sei eine „Systemsprengerin“, titelte der Spiegel. Sie drohe, die Westbindung Deutschlands aufzukündigen und die Union zu „zerstören“, fürchteten manche in der CDU und forderten einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Aber auch in der SPD gab es Unmut: Brandenburgs SPD-Wirtschaftsminister Jörg Steinbach warf aus Protest gegen die Koalition mit Wagenknechts Leuten hin.

Daniel Bax

54, ist Themenchef im Regie-Ressort der taz. Er schreibt derzeit viel über das neue „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW).

Diese Überhöhung spielt Sahra Wagenknecht in die Hände. Sie wolle einen „echten politischen Wandel“, trompetete sie im Wahlkampf, ein „Weiter so“ werde es mit ihr nicht geben. Darum ist der Streit um die Stationierung von Raketen und Friedensverhandlungen mit Russland so wichtig für sie, auch wenn das Thema in der Landespolitik keine große Rolle spielt. Das Getöse soll den Eindruck erwecken, dass es um Grundsätzliches geht. Das ist identitätsstiftend. Nun liegen in Brandenburg und Thüringen die ersten Koalitionsverträge des BSW vor und siehe da, die Revolution ist abgesagt, das Abendland geht nicht unter. Sicher, die neue Partei hat Akzente gesetzt: Das Wort „Frieden“ etwa steht 28 Mal im Thüringer Koalitionsvertrag. Die Handschrift des BSW ist erkennbar. Doch es ist eine größtenteils sozialdemokratische und teilweise konservative Handschrift und sicher keine systemstürzende. Das zeigt: Wagenknecht ist ein Scheinriese. Sie wirkt aus der Entfernung weitaus größer und bedrohlicher, als sie in Wirklichkeit ist. Sie lebt von den Projektionen der anderen. Aus der Nähe betrachtet schrumpft sie auf Normalmaß zusammen.

Bisher kannte Wagenknecht nur die Fundamentalopposition. Nun wird sie in Thüringen und Brandenburg jeweils drei Ministerien besetzen. Damit geht sie vor der Bundestagswahl ein großes Risiko ein: Zum einen fehlt ihr das Personal. Indem sie externe Fachleute ins Amt hievt, könnte Wagenknecht aus der Not eine Tugend machen. Ihr Vorschlag, nach der Bundestagswahl eine „Expertenregierung“ zu bilden, weist bereits in diese Richtung. Zum anderen aber muss ihre Partei Kompromisse eingehen und Verantwortung tragen – und könnte damit Wähler enttäuschen, die sich mehr erwartet haben. Der Einbruch, den das BSW derzeit in den Umfragen erfährt, dürfte damit zusammenhängen. Wagenknecht habe Sorge, „dass wir durch unseren pragmatischen Thüringer Stil ihr Wahlkampfkonzept einer klaren Abgrenzung zu anderen Parteien kaputtmachen“, analysierte BSW-Landeschefin Katja Wolf in der Zeit. Deshalb reagiert Wagenknecht so scharf auf den Vorwurf der AfD, sie sei bloß eine „Steigbügelhalterin“ und „nützliche Idiotin“ der „Altparteien“, die sie für ein „Weiter so“ einspannten. Das ist weitaus image­schädigender als der Vorwurf, sie sei Putins Marionette.

Wagenknecht ist ein Scheinriese. Sie wirkt aus der Entfernung weitaus größer und bedrohlicher, als sie in Wirklichkeit ist

Dabei ist „Weiter so“ genau das, was viele Wagenknecht-Wähler wollen: Sie wollen möglichst lange weiter Benzin tanken. Sie wollen nicht, dass sich ihr gewohntes Umfeld durch Einwanderung zu sehr verändert und dass sich Russlands Krieg in der Ukraine auf ihren Geldbeutel auswirkt. Sie fürchten sich vor zu viel Veränderung und um ihre soziale Sicherheit.

Illustration: Robert Samuel Hanson

Darum hat das BSW ziemlich viel „Weiter so“ durchgesetzt: In Brandenburg will es den Kohleausstieg hinauszögern und alle Krankenhäuser erhalten. In Thüringen will es mit CDU und SPD trotz Geburtenrückgangs möglichst viele Schulen und sogar Kinos auf dem Land retten, die ärztliche Versorgung garantieren und stillgelegte Bahnstrecken wieder in Betrieb nehmen. Wer das finanzieren soll, ist unklar. Thüringen schleppt ein strukturelles Haushaltsdefizit von über 1,3 Milliarden Euro mit sich mit, und auch in Brandenburg wachsen die Bäume nicht in den Himmel: Das Land rechnet mit 403,7 Millionen Euro weniger Steuereinnahmen als erwartet. Man werde Prioritäten setzen müssen, kündigt Brandenburgs BSW-Chef Robert Crumbach schon mal an. Und in Thüringen hat man erkannt, dass man ohne gezielte Anwerbeoffensive für ausländische Fachkräfte bald nicht mehr genug Ärzte, Pfleger und Apotheker haben wird. Ganz ohne weitere Einwanderung wird es also auch in Thüringen nicht gehen.

Das BSW kann aber noch für Überraschungen gut sein. Das liegt am ambivalenten Verhältnis zur AfD. In Brandenburg und Thüringen hat es eine Zusammenarbeit mit der AfD zwar ausgeschlossen. In Sachsen, wo sich das BSW einer Koalition verweigerte, hat es aber bereits zwei Mal Anträgen der AfD zugestimmt: zur Aufarbeitung der Coronamaßnahmen und zur Stationierung von US-Raketen. Das BSW weicht die Brandmauer nach rechts auf. Damit könnte es die politische Landschaft langfristig am stärksten erschüttern.

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