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der dieb, der lordrichter und das schoßhündchen

von RALF SOTSCHECK

England ist dem Untergang geweiht, wenn man dem obersten Lordrichter Woolf glauben kann. Al-Qaida-Terroristen? Aber nein, die hat Premierminister Tony Blair doch fest im Griff. Die verdächtigen Turbanträger sitzen im fensterlosen Verließ in Belmarsh. Blair hat so gut von George Dubya Bush gelernt, dass der Daily Mirror, eigentlich eine Labour-Boulevardzeitung, ihn als „Schoßhündchen des US-Präsidenten“ bezeichnete. Er solle sich fortan „Dubya Blair“ nennen und seinen Amtssitz in der Downing Street in „Little White House“ umtaufen, riet das Blatt.

Gefahr droht England von ganz anderer Seite, meint Lordrichter Woolf: den Handydieben. Es gibt 45 Millionen Mobiltelefone in Britannien. Im vorigen Jahr wurden 700.000 Stück geklaut, in den beiden Vorjahren waren es zusammen nur 5.000. Opfer und Täter sind fast immer Männer im jugendlichen Alter. Vorige Woche befahl Woolf der Richterschaft, künftig drakonische Strafen –„robuste Urteile“, nannte er es euphemistisch – für den Handyklau auszusprechen. Mindestens anderthalb Jahre, bei Gewaltanwendung fünf Jahre sollen die Gangster sitzen. Bereits am nächsten Tag folgte Richterin Valerie Pearlman der Empfehlung ihres Bosses. Das perückte Schoßhündchen verurteilte einen 23-Jährigen zu vier Jahren Knast ohne Bewährung, weil er einen 16-Jährigen ins Gesicht geschlagen und ihm das Handy weggenommen hatte. „Abschreckung“, lautete die Urteilsbegründung.

Harry Fletcher von der Gewerkschaft der Bewährungshelfer raufte sich die Haare. Handyklau sei nun genauso eingestuft wie sexuelle Nötigung und schwere Körperverletzung. Oder Mord, hätte er hinzufügen können. Der Soldat Lee Clegg, der in Nordirland wegen Mordes verurteilt worden war, kam nach zwei Jahren wieder frei und darf Rekruten ausbilden. Vermutlich im Töten. Fletcher befürchtet, in den Gefängnissen werde das Chaos ausbrechen, da die Zahl der Insassen auch ohne Turbanträger und Handydiebe einen Höchststand erreicht habe.

Der Guardian ist ebenfalls empört. Es sei Sache der Firmen, Mobiltelefone so zu sichern, dass sie für Diebe wertlos sind. Viele Netzbetreiber haben das zwar getan, doch Vodafone, größte Mobilfunkfirma der Welt, und Cellnet weigern sich. Sie haben nicht die Technologie, behaupten sie, und selbst wenn sie die hätten, würden die Diebe die Sicherheitscodes ja doch entschlüsseln. Die Firmensprecher vergaßen hinzuzufügen, dass sie an den Diebstählen kräftig mitverdienen, da es vollkommen egal ist, wer das Guthaben auf den vorbezahlten Karten abtelefoniert.

Der Guardian meint, Lordrichter Woolf hätte sich besser mit diesen Firmen beschäftigen sollen. Das Blatt riet ihm, er solle jeden Abend vor dem Zubettgehen zehn Mal sagen: „Vorbeugung ist besser als Bestrafung.“ Dabei ist Woolf ein Weichei. Wollte er wirklich abschrecken, hätte er anordnen müssen, den Handy-Dieben die Hände abzuhacken. Die sollten danach mal versuchen, mit geklauten Handys zu telefonieren. Und Dubya Blair hätte bei Dubya Bush wieder ein paar Punkte gutgemacht.

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