das wunder der italienischen zigaretten von REINHARD UMBACH :
„Lido blu“ ist der Name einer italienischen Zigarette, der doch sehr zum Strandpaffen einlädt. Das schicke Päckchen ist sogar billiger als die bekannten kontinentalen Sorten, also nahm ich mir eine Schachtel und ging am Strand spazieren. Eine rauchte ich sofort, der heftige Gegenwind fackelte die Fluppe allerdings wie eine Wunderkerze ab. Im Bora genannten Fallwind flatterten die Zipfel meiner Jacke.
Als ich mir nach einer halben Stunde die nächste anstecken wollte, suchte ich vergeblich in all meinen Taschen – die Packung Zigaretten war verschwunden. Drei Euro waren in den Sand gesetzt. Vom Zurücklaufen und Suchen hielten mich die anderen ab. Es seien doch hunderte von Flaneuren und Flagranten unterwegs. Selbst Nichtraucher würden sich diesen fetten Happen Strandgut nicht entgehen lassen. Von den Möwen ganz zu schweigen.
Grimmig und von Geiz gequält gab ich mich geschlagen. Am späten Abend schlug dafür das Wetter um. Der Wind steigerte sich zum Sturm, die Blitze lagen waagerecht in der Luft und die Piniennadeln wurden zu Blasrohrgeschossen, die unter die Haut gingen.
Diesem Startgewitter folgten insgesamt elf weitere. Die Temperaturen fielen pro Tag um rund fünf Grad, und der Strand war alles andere als blau. Wem wohl meine „Lido blu“ in die Hände gefallen waren? Dem Schnorrerhai womöglich? So dachte ich ein ums andere Mal und war über den Verlust also noch nicht hinweg, hatte mich aber passend zu den roten Fahnen am Strand schon mit der Alternativmarke „Lido rosso“ eingedeckt.
Dann legten sich nach Tagen die Unwetter allmählich, und es war wieder möglich, am Meer spazieren zu gehen. Das Ufer war übersät von Strandgut: mit übrig gebliebenen und rückgeschwemmten Haargummis verschollener Trägerinnen, mit zerbeulten Plastikflaschen und jeder Menge toter Tüten. Eine größere Menschenmenge hatte sich aber um etwas Schwabbeliges herum geschart und war heftig dabei zu fotografieren. Es war eine lila schimmernde, noch gut erhaltene Qualle. Nur an den Rändern wies sie schwarzteerige Stellen auf. Mir kam ein Verdacht: Waren es womöglich Brandlöcher? Hatte die Qualle einen über die Gallerte geschmökt? Darauf deuteten auch die vielen mitangeschwemmten Kippen um sie herum hin. Am Ende sogar meine Zigaretten? Ich sollte nicht lange im Trüben fischen müssen. Keine 100 Meter weiter nämlich geschah das Unfassbare! Sie war zurückgekehrt! Auf einer Gischtkrone tanzte etwas Weißblaues und wurde direkt vor meine Füße gespült: eine Zigarettenpackung, an der sich Seegras- und Algenreste festgeklammert hatten. Genau eine Zigarette fehlte! Das war der Beweis, dass es meine Packung war und nebenbei die Qualle also unschuldig.
Nichts geht auf dieser Welt verloren. Nächsten Sommer werde ich das Abenteuer wiederholen und fünfhundertzehn selbst gedrehte „Batavias“ in die Wellen des Mittelmeers schütten. Bis dahin aber verherrliche ich noch ein wenig das azurblaue Wunder: So schwamm direkt des Himmels Walten / Auf meine Strandsandalen zu / Die Packung war noch gut erhalten / Und trug die Aufschrift „Lido blu“.