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das ding, das kommtParty Paradox

Der Kopfhörer wirkt an der Schwelle zwischen drinnen und draußen – und muss nicht mal mehr zum Tanzen abgenommen werden

Der Irre ist in meinem Kopf“: Unter Zuhilfenahme dieser variierten Pink-Floyd-Zeile – man erinnere sich: Diese Band stand tatsächlich mal für technischen Fortschritt in Fragen der Musikerzeugung – erörterte der Medientheoretiker Friedrich Kittler einst das Verschwinden einer Trennung, nämlich der „zwischen klang-erfülltem Umraum und klangerfülltem Hirninnenraum“. Einer der dazu beitragenden technischen Apparate war aus Sicht des großen Siegeners der Kopfhörer. Das liegt nahe, denn so ein Ding verrichtet sein Werk ja ziemlich genau an der Schwelle vom Draußen zum Drinnen.

Er trägt aber auch dazu bei, diese Schwelle aufrecht zu erhalten: Idealerweise – und abhängig von der Bauform – sperrt er gleichermaßen die Umgebungsgeräusche aus, wie er die Umgebung unbehelligt lässt von dem, was der Kopfhörerträger hineinschallen lässt in die eigenen Gehörgänge. Was ihn beliebt macht bei Nachbarn, zum Beispiel: So genossen, kann die Lieblingsmusik kaum stören, vorausgesetzt, wir mäßigen uns, was das Mitsingen angeht.

Wer diesen Gedanken weiterspinnt, landet beim Konzept der Partyreihe „Heartphones“, die im inzwischen fünften Jahr regelmäßig Hamburger Tanzböden bespielt, dieser Tage aber auch in Bremen gastiert: Hier erhalten die Besucher Funkkopfhörer, die bis zu drei Kanäle empfangen, die mit unterschiedlichen „Musikfarben“ beschickt sind: „Es tanzen bei dieser Party also viele Menschen zu unterschiedlicher Musik“, heißt es. „An den Kopfhörern lässt sich dabei sehen, wer welchen Kanal hört.“

Dieses Detail ist keine Nebensache: Bei aller Diskretion, will man immer noch Party sein, also ein ja doch gemeinschaftliches Erlebnis. Wenn man da nicht schon von weitem erkennen kann, ob der andere demselben Beat folgt wie man selbst – dann muss man am Ende noch miteinander reden! Nah verwandt diesem merkwürdig paradoxen Partykonzept ist auch eine recht junge Verästelung der Hamburger Kinolandschaft: Da gibt es das „Schanzenkino 73“, das ebenfalls mit Kopfhörern hantiert, wodurch jeder Besucher entscheiden kann: Originalton oder Synchronisation?

Hier wie dort, da bedarf es keiner sonderlich ausgeprägten Kulturskepsis, sind die Versprechen gleich den trügerischen des (Neo-)Liberalismus: Sei dabei, befriedige dein Bedürfnis – ohne dich mit deinen Mitmenschen mehr herumärgern zu müssen als unbedingt nötig. Alexander Diehl

nächste Termine: Sa, 13.1., Bremen, Tower; Fr, 19.1., Hamburg, Molotow

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