: buchtipp
Kommissar Meyer und der Spätzlesender
Kriminalkommissar Horst Meyer und sein Kollege Weinmüller von der Kripo Heilbronn untersuchen einen Mord im Eilzug von Tuttlingen nach Stuttgart. Nachdem die Sekretärin des Polizeipräsidenten ihm einen unangenehmen Anruf ankündigt hat, bekommt Meyer im Büro einen Wutanfall.
„Ja, was ist denn mit dir los?“, erkundigte sich Weinmüller, erstaunt über den plötzlichen Gefühlsausbruch seines Kollegen.
„Ach Scheiße, der Alte lässt mir ausrichten, dass ich nachher ein Fernsehteam vom Spätzlesender betreuen darf. So ein Granatenmist, so ein verfluchter!“
Weinmüller nickte wissend und mitfühlend. Schließlich gab es ein weiteres offenes Geheimnis in der Landespolizeidirektion: nämlich dass der Alte seinen mehr oder minder hoffnungslosen Nachwuchs durch eine seiner zahlreichen Verbindungen („Connections“ auf Neuschwäbisch) beim als schlafmützig geltenden Fernsehsender der Landeshauptstadt untergebracht hatte. Und so war das biedere Schwabenfernsehen zwischen Neckar und Nesenbach wenigstens in Sachen Polizeiaktionen meistens einigermaßen auf dem Laufenden, besonders wenn es darum ging, die Leistungen der LPD und vor allem ihres Chefs ins rechte Licht zu rücken. Andererseits war eine solche Funk-Connection auch Gold wert, wenn mal grade einem Kollegen ein dicker Hund passiert war und Sohn Unterhauser nach langem Hin und Her und wichtigtuerischem Gehabe die Geschichte am Ende wieder totrecherchiert hatte, um den Senior aus der Schusslinie zu bugsieren. [...]
Und nun hatte ausgerechnet Horst den einen der beiden Unterhauser-Sprösslinge, den journalistischen Dreikäsehoch, am Hals, der wahrscheinlich unter noch größeren Komplexen litt als sein Alter. [...] Dafür meinte der Junior, seine Komplexe mit einer besonders rotzfrechen Sprache überspielen zu müssen, wenn er grade mal wieder am Recherchieren seiner nicht unbedingt Pulitzerpreis-verdächtigen Reportagen war: Der gute alte Spätzlesender, kein Wunder, dass es mit ihm immer mehr und immer schneller bergab ging. Ein Wust von Filz, Unfähigkeit, Cliquenwirtschaft und Intrigenschmiede, doch fast alle Insassen der einst bedeutenden Fernsehanstalt waren überdies ausgestattet mit einem Mordsdünkel: Fernsehbeamte halt, die meist durch Beziehungen hier untergebracht worden waren. [...] Keinen von denen konnte man mehr an die frische Luft befördern, wenn sie sich im Sender erst mal ein, zwei Jahre lang ihren Fettarsch breit gesessen hatten, es sei denn, sie hätten goldene Löffel geklaut. Aber Hauptsache, die Kasse stimmte und die Hornochsen von Zuschauern muckten nicht in größerer Anzahl auf, selbst wenn sie den Käse schon längst nicht mehr einschalteten, der da täglich über die Mattscheibe flimmerte.
Auszug aus „Höllenfahrt“ von Gunter Haug, Armin Gmeiner Verlag, 19,80 DM
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