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bettina gaus über Fernsehen Berühmt – und trotzdem ganz normal

Nicht jeder TV-Star hat das Zeug zum Promi. Und dies scheinen manche Fernsehgrößen auch zu ahnen

Ein Schauspieler, dessen Gesicht mir vage bekannt vorkam und dessen Namen ich schon wieder vergessen habe, erklärte kürzlich in einer Talkshow, was er an der Frau besonders schätzt, mit der er seit mehreren Jahrzehnten verheiratet ist: Sie behandele ihn, so sagte er, „wie einen ganz normalen Menschen“. Schön, dass ihn das so freut. Tatsächlich sind ja einige Umstände vorstellbar, unter denen eine derartige Begeisterung überaus verständlich ist. Wenn jemand sich für Napoleon hält, beispielsweise.

Aber der Schauspieler wirkte ziemlich normal und gar nicht unsympathisch. Es hätte wohl ohnehin niemand angenommen, dass seine Frau ihn jeden Morgen um ein Autogramm bitten muss. Schließlich dürfte selbst Cäsar den Lorbeerkranz zu Hause gelegentlich abgesetzt haben, und auch Sokrates wurde von seiner Xanthippe mit sehr viel normaleren Maßstäben gemessen als ihm selbst lieb war. „Nobody is a hero to his family“, lautet ein alter Spruch: Niemand ist ein Held in den Augen der eigenen Familie. Natürlich nicht. Dennoch wird diese Nachricht ständig wiederholt.

Der Schauspieler steht mit seiner Enthüllung ja nicht alleine da. Während Millionen Teenies in aller Welt gerne berühmt sein wollen, um endlich nicht mehr „wie ganz normale Menschen“ behandelt zu werden, und während manche Erwachsene für den zweifelhaften Lohn des Zehn-Minuten-Ruhms sogar spektakuläre Verbrechen zu begehen bereit sind, werden Prominente nicht müde, in ungezählten Interviews zu betonen, wie sehr sie sich nach einem normalen Leben sehnen. Manches spricht dafür, dass dieser Klagechor über die Last des Erfolgs nicht nur ein gerüttelt Maß an Koketterie enthält, sondern auch eine stille Sorge offenbart: Ist man vielleicht gar nicht so außergewöhnlich, wie die Öffentlichkeit glaubt? Könnte das eigene hohe Ansehen – unverdient sein?

Es könnte, und das hängt mit der Erfindung des Fernsehens zusammen. Wer es früher in der bürgerlichen Gesellschaft zu individuellem Ruhm gebracht hat (selbst zu anrüchigem), dessen herausgehobene Stellung hatte irgendetwas mit seiner Lebensleistung zu tun. Im Fernsehzeitalter ist Prominenz hingegen in den meisten Fällen nichts anderes als eine unvermeidliche Folge der Berufswahl. TV-Schauspieler, Moderatorinnen und Nachrichtensprecher müssen nichts besonders Bemerkenswertes zustande bringen, um bekannt zu werden. Es genügt, dass sie ihren Job machen.

Niemals wäre Goethe auf die Idee gekommen, sich darüber zu freuen, als normaler Mensch behandelt zu werden. Er hielt sich gar nicht dafür, sondern betrachtete sich durchaus als Ausnahmeerscheinung. Als der junge Heine ihn in Weimar aufsuchte und ihm berichtete, er arbeite an einem Faust, da wies Goethe ihm die Tür: Er habe in der Stadt doch gewiss noch andere Geschäfte zu besorgen. Diese Dreistigkeit! Kommt da so ein junger Spund daher und will ihm was vom Faust erzählen! Raus, aber sofort!

Hätte sich der Vorfall in der heutigen Zeit ereignet: Wäre Heine dann in die nächste Talkshow geeilt, um dort genüsslich über die Arroganz des älteren Kollegen herzuziehen? Und hätte die Angst vor der schlechten Publicity den Dichterfürsten vielleicht veranlasst, Heine doch lieber noch ein Tässchen Tee zu reichen? Wahrscheinlich nicht. Goethes Selbstbewusstsein gründete in der eigenen Person, und nicht in dem, was manche Fernsehleute als „geliehene Prominenz“ bezeichnen – ein Begriff, in dem schon die Angst vor dem Absturz steckt.

Das öffentliche Bewusstsein hinkt bislang der technischen Entwicklung hinterher. Wer berühmt ist, muss irgendwie toll sein: Seit der Erfindung des Fernsehens ist diese Überzeugung sehr altmodisch. Trotzdem hält sie sich hartnäckig. Günther Jauch ist ein sympathischer Mensch und gewiss nicht dumm. Aber der klügste Mensch Deutschlands, wie viele glauben – das ist er nicht. Nun ist es natürlich eigentlich nicht weiter schlimm, wenn Leute für Genies gehalten werden, die keine sind. Wirklich bedrohliche Auswirkungen hat der Promi-Hype für eine Gesellschaft erst dann, wenn sie niemanden mehr für bedeutend hält, der unerkannt bei Edeka einkaufen kann.

So weit ist es noch nicht, wie kürzlich ausgerechnet das Fernsehen bewies. Es übertrug die Verleihung des Friedenspreises an Jürgen Habermas. Dabei wurde einem bewusst, dass man dessen Bild noch nie auf der Titelseite einer Illustrierten gesehen hat. Dass man gar nicht weiß, wie seine Familie ihn behandelt. Das einzig Interessante an dem großen Philosophen ist sein Werk. Wahrscheinlich hat er nicht einmal Autogrammkarten. Das macht den 72-Jährigen zu einem Hoffnungsträger.

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