berliner szenen: Zwei Tabletten zu wenig
Victim blaming und Täter-Opfer-Umkehr sind in der Zahnmedizin angekommen. Doch der Reihe nach: Nach einer Woche Zahnweh gehe ich zur Zahnärztin. Sie hat kaum in meinen Mund geschaut, da ruft sie schon: „Na, Sie knirschen ja ordentlich!“ Es pocht und zieht unter der neuen Krone, das muss geröntgt werden. Gegen die Entzündung soll ein Antibiotikum helfen. Dann schleift sie diese Krone allerdings noch um einiges zurecht, und danach fühlt es sich wesentlich geschmeidiger an. Besten Dank und auf Wiedersehen! Würde mich nicht wundern, wenn Ablenkungsmanöver Teil der Ärzteausbildung wären.
Von dem Apotheker, dem ich kurz darauf mein Rezept durch die Coronaluke reiche, hätte ich mich aber noch ganz anders einwickeln lassen. Denn er sieht so aus, als würde er gern lachen, und hat die Ruhe weg, obwohl die Hütte voll ist. Gibt das Rezept in den Rechner ein, starrt ewig auf den Bildschirm und verschwindet dann im Vorratsraum. Ich studiere die segensreichen Eigenschaften der Manukahonig-Zahncreme zu 5 Euro in der umweltfeindlichen Umverpackung und ein Manukabonbon stecke ich auch ein.
Er kommt mit drei Packungen zurück und schaut wieder in den Rechner. „Stimmt was nicht?“, frage ich. „Aber hallo!“, antwortet er. Wegen des akuten Medikamentenmangels hat er nur zwei Packungen mit geringerer Dosierung oder eine mit zwei Tabletten zu wenig. „Es gibt ein paar Leute, die sollten mir besser nicht im Dunklen begegnen“, grollt er. „Verantwortungsbewusstsein, har har“, schiebt er noch nach, und seine Augen hinter der randlosen Brille verengen sich zu Schlitzen. Ich entscheide mich für die kleine Packung, verabschiede mich sehr herzlich und eile zu meinem auf die Schnelle nicht abgeschlossenen Rad hinaus. Katrin Schings
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