piwik no script img

berliner szenenDer Autor und sein Verfolger

Von den Linden kommend überquerte der Wanderer die Dorotheenstraße, der Verfolger hinter ihm. Er ging ohne Hast zwischen den Passanten. Er trug einen langen speckigen Mantel und einen braunen Rucksack, das Haar hing auf die Schultern.

In der Universitätsstraße betrachtete er länger ein Plakat. Ein Gepäckabschnitt der Lufthansa am Rucksack des Wanderers ließ den Verfolger stutzen. Schien die Silhouette nicht vertraut? Der berühmte Schriftsteller! Wenn er nur das Gesicht sehen könnte. Kurzentschlossen sprach er den Vornamen des Schriftstellers laut in sein Telefon. Der Mann drehte sich um. Er war es wirklich! Auch wenn er ihn nur durch seine Bücher kannte, fühlte sich der Verfolger doch berechtigt, ihn anzusprechen. Der Mann ließ sich darauf ein.

Er erklärte seine Anwesenheit in der Stadt, erzählte von einer Reise weiter nach Osten, stellte fest, wie die Stadt sich verändert hatte und wollte schließlich wissen, mit wem er es eigentlich zu tun hatte. Der Verfolger erklärte sich. Er ging nun schon eine ganze Weile neben dem Schriftsteller. Er war nervös. Der Schriftsteller war ein Idol seiner Jugend. Er sagte ihm das. Als sei es ihm unangenehm, fügte er hinzu, dass ihm sein letztes Buch nicht sehr gefallen habe. Das gefiel dem Schriftsteller nicht.

Das müsse er sich nicht sagen lassen, sagte er zornig. Da hatte der Schriftsteller Recht. Niemand muss sich irgendetwas sagen lassen, dachte der Verfolger reuig. Am liebsten hätte er sich geohrfeigt. Doch es war zu spät. Es ist wohl besser, wir trennen uns hier, sagte der Schriftsteller. Einen letzten Dienst konnte der Verfolger ihm erweisen, indem er ihm den Weg zum Bahnhof zeigte, dann verschwand der Mann in der Dämmerung. Neulich erhielt der Schriftsteller einen Anruf aus Stockholm. Jemand sprach seinen Namen in den Hörer.

Sascha Josuweit

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen