: berliner szenen Lieber echte Kunst
Bionade und Pimps
Scheinbar sind die Zeiten des silvestermäßigen Optionsgeschachers – wo gehen wir hin zum Kucken? – Vergangenheit. Heute regiert die pragmatische Schnellentscheidung. So wird die erste Halbzeit im Garten einer ehemaligen mongolischen Botschaft im Prenzlauer Berg konsumiert. Hier tummelt sich die Ausgehgesellschaft der Neunzigerjahre. Dass wegen Sonneneinstrahlung der Ball auf den Bildschirmen oft nicht zu erkennen ist, stört nicht weiter – Gelegenheit, nach dem herumwuselnden Nachwuchs zu schauen oder sich eine neue Bionade zu besorgen.
Für die zweite Halbzeit geht es in die Galerienzeile an der Jannowitzbrücke. Wenigstens ein bisschen echte Kunst! Der Berliner Maler Erik Schmidt zeigt bei Carlier-Gebauer Bilder von adeliger Dekadenz, Jagdszenen und eine homoerotisch aufgeladene Verfolgung durchs Unterholz. Hinterlässt einen schönen Grusel. Für das Spiel interessiert sich hier keiner mehr.
Auch uns ist die Frage nach der nächsten Abendstation wichtiger. CSA-Bar, Münzclub oder zum Johann-König-Pavillon im Rücken des Potsdamer Platz? Dort sendet der Münchner Künstler Michael Sailsdorfer einen riesigen Lichtbeam in die Nacht – aber die Galerie bleibt Galerie und mutiert nicht zur Umlanddisko. Endstation für uns deswegen: Ausgehquartier Schlesisches Tor. In der Gothikdiskothek „Kato“ legt das geschmeidige Brockdorff Klanglabor (BKL), die neueste Elektropophoffnung aus Alfred Hilsbergs Stall, einen furiosen Auftritt mit clashigen Smiths-Coverversionen hin. Zum Finale steigt dann der pimpig gestylte Labelmate Jens Friebe auf die Bühne, wie weiland Eminem zu 50 Cent. Grund zu jubeln jenseits des Jubels – fast hätte man die WM da draußen vergessen.
KITO NEDO