: berliner szenen Länger als Gotscheff
Punsch
Unten, in der rauchigen, holzvertäfelten Gemütlichkeitshölle Volksbühnenkantine, feiert die Regie-Ikone Fritz Marquardt mit der älter gewordenen Ost-Theatergarde Geburtstag und das Spielzeitende am Rosa-Luxemburg-Platz. Oben, im 3. Stock, endet die Saison mit einem Konzert von Bernadette La Hengst und viel Jubel bei Songs wie „Schmetterlinge aus Beton“. Auch das Theater wirkt heute Nacht so schwerelos und fliegend, wie es ein Gebäude nur kann. Wir gehen gegen zwei hinunter und plündern das Büfett aus Griebenschmalz mit Krustenbrot, Matjeshäppchen und Kartoffelsalaten. Die große Schüssel Fruchtpunsch tragen wir später fatalerweise an unseren Tisch.
Ein großer Pulk um das fidele Geburtstagskind mit Baskenmütze hat einige Tische zusammengeschoben. An den Wänden ringsum hängen Poster seiner Inszenierungen – Henry Hübchen blickt jung und wild vom Papier. Die Stimmung ist sehr ausgelassen, wir nehmen das zweite Mal reichlich vom Büfett. Ein alkoholfreies Weizen wird das letzte Getränk seiner Gattung werden.
Der Jubilar verweilt so ewig, dass eine konkrete Uhrzeit nicht mehr erinnerlich ist. Sehr viel später lehnt der große Dimiter Gotscheff noch zusammengesunken auf seinem Stuhl, unterhält sich mit seiner Frau.
Wir beschließen länger bleiben zu wollen als er, leeren die Reste des Punsches direkt aus der Schüssel, singen lautstark Lieder aus den Lautsprechern mit. Bei Oasis’ Wonderwall dreht der Barmann die Anlage ab, wir machen weiter und klatschen auf den armen Tisch.
Gotscheff, dem man nachsagt ins Fitnessstudio zu gehen, beweist eine fabelhafte Kondition. Als uns der Wirt den Alkohol wegnimmt, geben wir uns geschlagen. NIELS MÜNZBERG