: anderlust gegen Küstenfrust
Umweltkatastrophen, durchaus nicht immer hausgemacht, haben der italienischen Tourismusindustrie schwere Einbußen gebracht. Da vor allem die Strände von den Umweltdesastern betroffen sind, setzt man inzwischen verstärkt auf Inlands-Fremdenverkehr. Unser Autor WERNER RAITH empfiehlt Berge, Burgen und Beschaulichkeit statt Teer an den Füßen.
D
as Image Italiens, so stimmten Mitte Mai mehrere hundert Emissäre nach der Rückkehr aus zwei Dutzend traditionellen oder potentiellen Kunden-Ländern unisono überein, sei „miserabel bis katastrophal“. Wo immer die Klienten-Werber ihren Mund auftaten, habe es nur „Haven, Haven“ zurückgeschallt, manch einer habe, alternativ zum Symbol der Ölkatastrophe, auch noch die schon fast zur Uraltvokabel verkommene Parole „Algenplage“ hervorgestoßen. Nichts habe es gebracht, daß man Hunderte von Frühurlaubern an die ligurische Küste geholt und ihre Erfahrungen den kostenlos mitreisenden Journalisten erzählen habe lassen, nichts auch die geradezu flehentlichen Bitten an die Europäische Gemeinschaft, eine Expreß-Delegation zur Begutachtung der Situation zu entsenden. Auch daß inzwischen fast siebzig blaue Umwelt-Flaggen des Europarats an italienischen Küsten sauberes Wasser versprechen, kann das Bild nicht zurechtrücken. Der Niedergang des italienischen Fremdenverkehrs ist offenbar durch nichts und niemanden mehr aufzuhalten: 20 Prozent weniger als noch 1990, und das bei der schon miesen Vorjahresbilanz (wo man die Abnahme auf die Fußball-WM geschoben hatte). Das hält auf Dauer keine Tourismus-Ökonomie aus, rasende Schließungen von Hotels (minus 14 Prozent), Restaurants (-18) und Badebetrieben (-21) sind bereits zu registrieren. Die Italiener müssen sich mit der bösen Realität anfreunden, nicht mehr nur als Land der blühenden Zitronen und der liebeshungrigen Pappagalli zu gelten, sondern auch als das der Teerklumpen-Fischer und der Algenkutscher.
D
abei hat Italiens Umweltminister Giorgio Ruffolo gar nicht so unrecht, wenn er ein ums andere Mal betont, daß ein Großteil der Umweltdesaster keineswegs ausschließlich, ja nicht einmal überwiegend hausgemacht sind. Sieht man das Verzeichnis der großen Katastrophen durch — von dem Dioxinaustritt in Seveso 1976 bis zur Explosion des Großtankers „Haven“ 1991 —, so findet man eine erkleckliche Zahl von Unfällen, für die das Land wenig kann: Seveso wurde durch einen vom Schweizer Mutterkonzern Hoffmann-La Roche verantwortungslos geführten Betrieb verursacht, die „Haven“ schließlich war kein italienisches Schiff. Daß sich Unfälle wie dieser jederzeit wiederholen können, sogar an derselben Stelle, ist richtig. Nur: Die Nachbarländer sollten sich klar darüber werden, daß Genua vor allem deshalb die europaweit gefährdetste Bucht ist, weil ganz Mitteleuropa sein Öl von den hier beginnenden Pipelines absaugt. Zwar fordern die Anrainer lautstark eine bessere Absicherung der Terminals — doch Geld dafür berappen will keiner.
Auch die Fälle der spektakulär aus der Dritten Welt nach Italien heimgeschickten Müllschiffe wie „Zanoobia“ oder „Deepsea Carrier“ sind eher internationaler Natur — die Schiffe hatte alle weniger in- denn ausländischen Schmutz an Bord, deutschen und französischen zum Beispiel. Das meiste davon wartet noch heute auf Entsorgung — nicht in den Herkunftsländern, sondern in Italien. Genauso wie das von allen Seiten herantreibende Schmutzgut an den Küsten nicht von den Ländern entsorgt werden muß, unter deren Flagge die Ablasser fahren, sondern eben von Italien. „Bewachen Sie mal mehr als 8.000 Kilometer Küste“, stöhnt der neue Zivilschutzminister Capria und weist mit seinem Finger auf das im Vergleich dazu geradezu mickrige Zipfelchen, das die Deutschen vor dem Anschwemmen von Öl und anderem Schadenszeug bewahren müssen.
D
as alles mindert natürlich nicht die Schuld, die auch italienische Behörden und das mitunter recht nachlässige Volk selbst ökologisch auf sich laden. Beispielsweise die wilde Schwarzbauerei ohne Rücksicht auf die Natur; derzeit gibt es mehr als 10 Millionen nicht genehmigte Gebäude. Oder das sorglose Abladen des Hausunrats und der Sperrgüter am Straßenrand. Oder die unkontrollierten Müllkippen und noch weniger kontrollierte Überdüngung und Pestizidstreuung; 1986 mußte in fast 20 Prozent aller Gemeinden vorübergehend das Trinkwasser gesperrt werden. Auch unzureichend abgesicherte Staudämme gehören dazu; 1963 forderte ein Erdrutsch mit Hochwasserwelle in Vajont bei Pordenone 2.000 Tote, 1985 ein Dammbruch im Val di Stava 300 Opfer. Doch auch hier ist nicht alles hausgemacht: Ein erklecklicher Teil der Schwarzbauten sind Hotels und Übernachtungsburgen, Strandetablissements, deren Einrichtung die ausländischen Tourismusmanager in den vergangenen Jahrzehnten kategorisch gefordert hatten mit erpresserischer Drohung bei Ablehnung.
Daß der Fehler im bedenkenlosen Aufspringen auf diesen alles auffressenden Moloch Tourismus liegt, greift freilich zu kurz: Das Aufsaugen von immer mehr Land und immer mehr Arbeitskräften für die Sommermonate geschah ja nicht auf einmal, sondern sukzessive; irgendwann in den siebziger Jahren war der Punkt erreicht, wo man sich den Managern nur noch um den Preis des Pleitegehens entgegenstellen konnte; mitbetroffen dabei meist auch noch ein oder mehrere Dutzend Familienangehörige.
Natürlich müssen viele trotz uneingeschränkter Hörigkeit nun dennoch zumachen, denn die Grenze erträglichen Urlaubsverkehrs ist an den Küsten Italiens schon Mitte der 80er Jahre erreicht worden. Daß Algenplage und Ölverschmutzung den Niedergang noch beschleunigen, war nicht absehbar, könnte jedoch einem Prozeß Auftrieb geben, auf den Grüne und besonnenere Tourismusexperten schon lange hoffen: die Umschichtung der Urlaubsströme von den ausgelaugten Küsten ins idyllische Hinterland.
D
afür haben die Tourismusverantwortlichen noch wenig Gespür entwickelt. Als in Rimini und Umgebung die Algen die Saison vermasselten, besannen sich die Manager dort nicht etwa darauf, daß die Emilia Romagna auch eines der herrlichsten Hinterländer Europas besitzt, daß da eine regelrechte Burgenstraße existiert, daß die Massive der nahen Abruzzen zu wunderbaren Touren einladen — nein, sie ermutigten die Hotellerie und die Strandbebauer, zu den schon vorhandenen noch weitere Riesen-Wasserrutschen zu bauen, mit Landeplatz in einem Süßwasserbecken von „garantierter Sauberkeit“. Die Gefahr, daß nun auch die Küstenprofiteure Liguriens derart reagieren, ist groß. Tatsächlich bringen die Rutschen und Topogans keinerlei Fördereffekt: Wer ans Meer fährt, möchte ins freie Salzwasser, nicht in den überfüllten Pool hüpfen.
V
iele Italiener selbst haben allerdings mittlerweile Konsequenzen zu ziehen begonnen: Der Urlaub „in montagna“ steht bei vielen Städtern jetzt gleichberechtigt neben den „vacanze al mare“. Manche teilen die Ferientage zwischen den Ferien in den Bergen und denen am Meer, viele aber haben der Bräunungs-, Plantsch- und Motorbootideologie schon ganz abgeschworen. Dabei entdecken sie, daß es außer den paar auch vom Ausland längst überlaufenen „klassischen“ Bergzonen der Südtiroler Alpen geradezu unendlich viele andere Gebiete gibt: im toskanischen Apennin zum Beispiel, in den Zentralabruzzen um den Gran Sasso herum, im Sila-Gebirge und im Pollino in Kalabrien oder auch im Trulli-Hinterland Apuliens, in den Höhen von Enna in Innersizilien oder in den Mittelgebirgen Sardiniens.
Ausländern freilich ist noch immer kaum zu vermitteln, daß es Berge, Burgen und und vor allem Beschaulichkeit auch im Land der Zitronen und der nicht endenwollenden Strände gibt. Vielleicht ist das, auf Dauer gesehen, auch nicht so schlecht. „Wenn die uns die Berge auch noch so mit Superhotels, Lifts und Après-Bars zupflastern wie die Küste“, sagt Anna Donati von den Grünen im Parlament, „dann gute Nacht.“ Die Gefahr besteht sicherlich. Doch einige Riegel haben die Behörden schon vorgeschoben: Bauen in Höhen über 1.200 Meter ist absolut verboten, Schwarzbauten werden dort abgerissen. Und den Urlaubshaien aus dem Ausland, die in den letzten Jahren zahlreiche der in den 50er Jahren entvölkerten Dörfer in der Toskana und in Umbrien zusammengekauft haben, um lukrative Ferienlager draus zu machen, haben sie verordnet, daß zuerst das ganze Dorf in Orginalbauweise restauriert werden muß. Das hat die Profit- und damit auch die Zugreifrate deutlich geschmälert.
Überdies ist die Gefahr, daß Teutonen oder Hunnen, Helvetier oder Welsche zu Millionen in die mittel- und unteritalienischen Gebirge einfallen, eher gering. Die Anfahrt ist zu lang, die Wintersaison zu kurz, die Sommersaison für Nordländer zu heiß. Und Klettern selbst hat schon immer mehr Mühe gemacht als den Bauch am Strand in die Sonne zu hängen...
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen