afrobeat: Gläserne Afrikaner
Totalitäre Überwachungssysteme setzen in Afrika zum Siegeszug an. Aus der Emanzipationstechnologie Internet entstehen Instrumente der Unterdrückung
DominicJohnson
leitet das Auslandsressort der taz und ist seit 1990 ihr Afrikaredakteur. Seine Kolumne "afrobeat" erscheint seit 2014 auf der taz-Meinungsseite.
Als vor zwanzig Jahren Mobilfunk und Internet Afrika erreichten, war das für den ärmsten Kontinent der Welt ein Befreiungsschlag. Plötzlich gab es Anschluss an den Rest der Welt. Sofern die technologische und finanzielle Verfügbarkeit bestand, öffneten sich alle Türen zum Austausch mit Menschen anderswo. Afrikanische Unternehmer konnten in globalen Märkten mithalten, Aktivisten und Kulturschaffende waren nicht mehr isoliert, Familienbande in der Diaspora erwachten zu neuem Leben.
Damals brachte die neue Technologie Emanzipation und Freiheit. Heute bringt sie Überwachung und Repression.
Es geht nicht darum, dass Regierungen in Bedrängnis soziale Netzwerke abschalten und das Internet blockieren, damit Oppositionelle nicht mehr miteinander kommunizieren und Protestbewegungen sich nicht mehr mitteilen können. Das ist Routine und zeugt vom subversiven Charakter der neuen Technologie. Inzwischen rüsten Staaten weltweit selbst im Netz auf und nutzen soziale Netzwerke zur Überwachung und künstliche Intelligenz zur sozialen Kontrolle und Manipulation. Bald wird man das Smartphone und das Internet nicht ein-, sondern ausschalten müssen, um sich Freiräume zu schaffen.
Nationale Souveränität im Internet, eine Beschönigung für staatliche Abschottung, tritt an die Stelle des World Wide Web, das als Instrument von US-Hegemonie verteufelt wird. Gesichtserkennung, Biometrie, grenzenloses Ausspionieren der eigenen Bürger und unbeschränktes Datensammeln – was im asiatischen und arabischen Raum die Regel ist, hält nun auch in Afrika Einzug, und in relativ schwachen Staaten mit selbstbewussten Zivilgesellschaften hat das noch viel verheerendere Auswirkungen als in Ländern, die ohnehin straff autokratisch regiert werden.
Europa glaubt immer noch, Afrika wende sich vor allem aus ökonomischen Gründen China zu. Aber die ökonomischen Zweifel an chinesischer Billigware gekoppelt mit teurer Verschuldung haben in Afrika längst Einzug gehalten. Viel attraktiver ist China heute als Modell einer Hochtechnologie-Dauerdiktatur, in der ein allmächtiger Staat über gläserne Bürger herrscht und Wohlverhalten technisch erzeugt wird, indem immer mehr elektronische Gegenstände von außen steuerbar sind.
Chinas „Neue Seidenstraße“ ist eben nicht nur ein Vehikel zur Kanalisierung chinesischer Investitionen in den Aufbau von Infrastruktur zwecks Handelsbeziehungen mit der Kehrseite ökonomischer Abhängigkeit. Es ist auch eine Plattform zur Verbreitung chinesischer Technologie: die „digitale Seidenstraße“, in der Weltkonzerne wie Huawei und auch weniger bekannte Firmen im Sicherheitsgeschäft globale 5G-Netzwerke und Überwachungssysteme anbieten.
Afrika als demografisch und ökonomisch schnellstwachsender Kontinent der Erde ist für Gesichtserkennung und andere Überwachungstechnik ein besonders attraktiver, da weitgehend unerschlossener Markt. Chinesen, Europäer, US-Amerikaner, aber auch Japaner und Israelis liefern sich um ihn einen heftigen Wettbewerb. Anbieter, die nicht nur den Bürgern etwas bieten, sondern auch den Staaten, werden von Letzteren naturgemäß bevorzugt. Der globale Markt für Gesichtserkennungssysteme soll Prognosen zufolge 2017–2025 um das Achtfache wachsen. Chinas Anteil soll knapp die Hälfte betragen, das chinesische Start-up „Cloudwalk“ ist Marktführer.
Simbabwes Regierung vereinbarte 2018 mit Cloudwalk den Aufbau eines landesweites Gesichtserkennungssystems, das in Städten und Verkehrssystemen die Kriminalitätsbekämpfung unterstützen soll – die Daten dürfen in China gespeichert werden, womit der chinesische Entwickler endlich seinen Rückstand bei der Gesichtserkennung Schwarzer aufholen kann, ein hartnäckiges Hindernis beim Export. In Tansania lobte 2017 der Vizeminister für Kommunikation, wie China zweifelhafte Medien im Internet „durch seine eigenen Webseiten ersetzt hat, die sicher, konstruktiv und beliebt sind“, und klagte: „So weit sind wir noch nicht.“ In Südafrika, Abnehmer chinesischer Überwachungssysteme, erklärte die Vizeministerin für Kommunikation auf einem Technologieforum 2019, sie fände es „aufregend“, dass „innerhalb von bloß zwei bis drei Jahren Sensoren in jeden Aspekt unseres Lebens integriert sein werden, von unseren Kühlschränken bis zu unseren Schuhen, vielleicht sogar in unsere Körper“, und sie hoffe, „dass Südafrikaner zu den Ersten auf der Welt gehören, die das ‚Internet of Things‘ leben“.
Der in China zu beobachtende totalitäre Endpunkt, wonach jede Regung jeder Einzelperson theoretisch lückenlos überwacht, evaluiert und im Falle unerwünschten Verhaltens sanktioniert werden kann, im Extremfall per Einweisung ins Umerziehungslager, ist im unbändigeren afrikanischen Kontext schwer denkbar. Aber es ist gefährlich genug, dass afrikanischen Herrschern diese Möglichkeit überhaupt vorgegaukelt wird. Und Afrika hat mit Innovationen wie Mobile Banking bewiesen, wie kreativ es neue Technologien von außen an eigene Bedürfnisse anpasst.
Die meisten afrikanischen Staaten haben ihren Ursprung im kolonialen System, in dem die Staatsverwaltung ein von außen kommender Fremdkörper ist, der die ansässige Bevölkerung entdeckt, unterwirft und aus dem eigenen Alltag und der eigenen Kultur gewaltsam herauslöst, um sie einer aus staatlicher Sicht nützlichen Tätigkeit zuzuführen. Für postkoloniale Staaten blieb dieses Verhältnis von Herrscher und Untertan meistens äußerst attraktiv, gerade wenn es um Effizienz im Regierungshandeln, ökonomische Entwicklung und auch um schnelle Rendite in lukrativen Geschäften geht. Das zutiefst autoritäre Gebaren staatlicher Akteure ist für viele Menschen in Afrika die Quelle großen Leids. Nun besorgen sich diese Akteure Werkzeuge, um ihr Gebaren zu perfektionieren.
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