■ Prozeß um Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter: Zynischer Umgang mit NS-Opfern
Gestern wurde vor dem Landgericht Bonn das Verfahren darüber wiederaufgenommen, ob ehemaligen Zwangsarbeitern unter dem NS-Regime ein Schadensausgleich zusteht. Die Opfer begehren endlich den Lohn, der ihnen vorenthalten wurde. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Mai die Fälle zur erneuten Prüfung an das Landgericht zurückgegeben. Wichtig war dabei allerdings ein Fingerzeig der Karlsruher Richter. Die Bundesregierung hatte bislang behauptet, derlei Ansprüche könnten nicht von Personen gestellt werden. Denn es handele sich um Reparationsansprüche, die völkerrechtlich nur von Staat zu Staat geltend gemacht werden dürften. Dem widersprach das Verfassungsgericht. Es gebe keinen derartigen völkerrechtlichen Grundsatz, obwohl Staaten das Recht hätten, auf solche Ansprüche ihrer Bürger zu verzichten. Einige Staaten haben derartige Verzichte erklärt, andere ausdrücklich nicht. Dies müsse das Landgericht erneut in jedem Einzelfall prüfen.
Das Urteil soll jetzt am 31. Januar gefällt werden. Als sicher gilt, daß die Bundesregierung in die nächsten Instanzen bis zum Bundesgerichtshof gehen wird, wenn das Bonner Gericht den Opfern etwas zuspricht. Ein Glücksfall, wenn das einer dieser Menschen noch erlebt. Die meisten werden bis dahin verstorben sein, ohne je einen Pfennig gesehen zu haben. Es ist moralisch unverantwortlich, die Überlebenden weiterhin auf den individuellen Rechtsweg zu verweisen. Erfolgreich hat Deutschland jahrzehntelang mit rechtlichen Tricks die Ansprüche abgewehrt. Ihnen gerichtlich nun bescheinigen zu müssen, daß ihre Ansprüche verjährt seien, wäre erneuter Zynismus. Die einzige Alternative ist eine politische Lösung. Bundestag, Bundesregierung und die deutsche Industrie müssen endlich ihre Hausaufgaben erledigen. Noch 1994 hat der Bundestag eine Entschließung verabschiedet, daß die Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben, ihre historische Pflicht erfüllen müßten. Das muß für den Staat erst recht gelten. Nur ein unbürokratischer Bundesfonds oder eine Stiftung, in die der Bund und vor allem die deutsche Industrie einzahlen, kann helfen, den Wettlauf gegen die Uhr wenigstens noch für einige zu gewinnen. Eine solche Stiftung sollte die Lohnforderungen und einen Ausgleich für die schlimmen Arbeitsbedingungen umfassen. Unabhängig davon verbleibt die gleichfalls ungelöste Aufgabe, mit allen Staaten Osteuropas Globalabkommen zu schließen, mit denen die Haft- und Gesundheitsschäden ausgeglichen werden. Günter Saathoff
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