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Archiv-Artikel

Zynische Behauptung

betr.: „Klinikärzte streiken unbefristet“, taz vom 16. 3. 06

Beim Ärztestreik geht es nicht um 30 Prozent mehr Gehalt, wie in der taz behauptet wurde. Es geht um Abwendung von Gehaltskürzungen wie Streichung des Urlaubsgeldes und familienorientierter Zuschläge, Absenkung des Weihnachtsgeldes, Gehaltsverlust für erfahrene Ärzte durch Umstellung auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit ohne finanziellen Ausgleich sowie einen bereits vollzogenen Nettoeinkommensverlust für Ärzte unter 35 Jahren von 7,5 Prozent in der Zeit von 1993 bis 2002 (DIW). Summiert man die genannten Einkommensverluste der Klinikärzte, so kann die 30-Prozent-Marke leicht überschritten werden. Dabei ist die Arbeitszeiterhöhung auf 41 Wochenstunden bereits Realität, da die Mehrzahl der jungen Klinikärzte befristete Verträge besitzt und Neuverträge automatisch zu den schlechteren Konditionen abgeschlossen werden.

Geradezu zynisch mutet die in der taz unwidersprochene Behauptung des DIW an, ein Klinikarzt arbeite im Schnitt 46,3 Stunden. Wie man sich in jeder Universitätsklinik überzeugen kann, sieht die Wirklichkeit ganz anders aus. Die traurige Realität sind Abmahnungen für korrekt dokumentierte Überstunden, unzählige Bereitschaftsdienste, die wegen der Überschreitung der gesetzlich zulässigen Höchstarbeitszeit illegal sind und offiziell gar nicht erfasst werden dürfen, sowie automatische Abzüge für gesetzlich vorgeschriebene Arbeitspausen, die nie stattfanden. Eine Untersuchung der Technischen Universität Berlin zeigt, dass über 60 Prozent der Berliner Krankenhausärzte mehr als 60 Stunden in der Woche arbeiten, obwohl die europäische Arbeitszeitrichtlinie eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden vorschreibt.

Nach einer Erhebung des Marburger Bundes leisten die rund 146.000 stationär tätigen Ärzte jährlich rund 50 Millionen Überstunden im Wert von 1 Milliarde Euro, die überwiegend nicht vergütet werden. Die Ärzte der Berliner Charité beziffern ihre monatlich unvergütete Mehrarbeit auf 85.000 Stunden.

ANDREAS REULAND, Schriesheim