Zwischen den Rillen: Singen, was man liebt
■ Phillysound und die (sehr) späten Folgen: Daryl Hall und Paul Weller
Die Popmusik bringt es an den Tag: Das Bewußtsein hat sich gegenüber dem Sein durchgesetzt. Im Interview auf MTV erklärt der weiße Mainstreamsänger Daryl Hall ohne große Umschweife, daß Soul nichts mit Hautfarbe zu tun habe, alle Musik sei von vornherein veräußertes Produkt, dem man seine soziale oder gar ethnische Herkunft nicht mehr anmerken könne. Auf ein bißchen Kolorit mag er trotzdem nicht verzichten, die TänzerInnen im Video seiner Single „I'm in a philly mood“ sind weiterhin schwarz.
Aber vielleicht hat Hall ja recht: „Soul Alone“ durchläuft von der ersten Kopfstimme bis zum letzten Fußstampfen die ganze aufgetakelte Phillysoundmaschinerie, an der in den siebziger Jahren Gruppen wie Three Degrees, O' Jays oder Sister Sledge charterfolgstechnisch mitgewirkt hatten. Doch die „Power of Seduction“, von der Hall im Falsett hoch über dem Tenor hüpfend kiekst und kräht, ist weder an den Ort noch an die Geschichte Philadelphias gebunden, der Stadt, die mehr noch als Detroit/Motown schwarzes Selbstbewußtsein landesweit als Bestandteil von Popkultur etabliert hat.
All der Gospel und Rhythm 'n' Blues, der noch beim Neo-Doowop-Quartett Boyz II Men feierlich wie eine Hymne auf die Emanzipation der schwarzen Mittelschicht im Staate Pennsylvania anklingt, wurde von Hall wegrationalisiert, jeglicher lokale Reiz einer gemischten Nachbarschaft ist verschwunden.
Statt dessen ist die ganze Platte ausgewogen und bis zum Rand mit Programmierer-Musik und swingenden Boxrhythmen vollgeknallt. Wo doch einmal etwas Rest-Soul im Bandgewirke durchdrückt, besorgen das Studiomusiker wie etwa Alan Gorrie am Baß, der mit seiner Average White Band schon einmal bessere Zeiten gesehen haben mag, als hier nun dem konstruierten High- Tech-Groove auf die Sprünge zu helfen. Aperçu-Soul: Wo es der LP an Gospeleuphorie mangelt, stellt Daryl Hall die Verführung um der Verführung willen in den Mittelpunkt – und läßt bei jedem sehnsüchtigen Schmachter die Rhetorik durchblicken. Selbst wenn er zartgurrend in diversen Bettgeschichten wühlt, geht der Sänger keiner Dame ins Netz, vielmehr windet er sich wie ein Fisch aus der jeweiligen Situation: „sad attacks, roll' em off my back“ heißt es in „This time“. Und so wird „Soul Alone“ zum work in progress einer self-fulfilling Liebes-Prophecy – der weiße Orpheus kommt immer nur in Bildern ans Ziel.
Mit der umgekehrten Erfahrung plagt sich dagegen Paul Weller ab. Zwar erkennt er im Soul der späten sechziger Jahre die Ausweitung der Politik auf das unmittelbare Begehren – „Say it loud, I'm black and I'm proud“, so damals die Parole von James Brown – doch Weller ist an keine Sex-Maschine angeschlossen, sondern bekanntermaßen britisch, weiß, stilbewußt bohemistisch und insofern hoffnungslos modern. Aufgrund dieser Differenzen zur schwarzen Kultur weiß er jedoch klar zwischen popmusikalischer und lebensphilosophischer Einfühlung zu trennen, ohne die Hallsche Handwerks- Allianz von Kopf und Bauch herbeireden zu müssen.
Vor allem ist Weller Fan genug, um zu zitieren – statt sich die Originale einzuverleiben. Nur vage dominieren ab und an Bläser oder Hammondorgeln, so richtig funky wird es einzig in den beiden „Instrumentals“, und als Sänger begibt er sich gar nicht erst auf das Glatteis des vollmundigen Soulcroonings, auch wenn Curtis Mayfield oder Otis Redding zu den erklärten Idolen gehören. Meistens bricht die Stimme dann melancholisch seufzend ab, bevor sie im holprigen Tremolo verendet, oder weicht vor zuckersüßen Harmonien mit einem wütenden Brüllen zurück. Weller liebt zwar, was er singt, aber er kann nicht singen, was er liebt.
„Wild Wood“ zielt weniger auf die Identifikation mit irgendwelchen Soulgrößen ab, sondern sucht nach einer anverwandten Einstellung zum Leben im allgemeinen. Dafür läßt Weller wohl endgültig vom früheren Kult des jugendlichen Verschwendungstraras ab, und wendet sich den einfachen Dingen in der Natur des Menschen zu: dem Salz der Erde („Country“) und dem Brot des Herrn („Holyman“). Wie Rousseau spaziert Weller an der Peripherie des Swinging London entlang und kommt auf den Gedanken, daß die Raves und Parties der letzten Jahre nicht das Wahre gewesen sein können: „climbing, forever trying, find your way out of the wild wild wood“.
In sich gekehrt und einsichtig laufen bei Weller die Wege von Beat, Sixties-Pop, Acid-Jazz und Soul tatsächlich zusammen – im Blues, den der alternde Mod (prächtige Falten, der Mann!) nun mit Eric Clapton oder Rod Stewart teilt. Doch bei Weller äußert sich die späte Erkenntnis weder in einem schweren Herzen noch in der fröhlichen Weisheit des gestandenen Trinkers; er ist eher so eine Art Gefühlspunk, den er in Zeilen wie „we had no future, we had no past“ noch immer mit Inbrunst auf „Sunflower“ besingt. Das ist seine Generation, daran läßt sich anknüpfen. Harald Fricke
Daryl Hall: Soul Alone (Sony)
Paul Weller: Wild Wood (Metronome)
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