Zwischen den Rillen: Kein Zögern, Baby
■ Live fast, die later: Hole tun's für die Kids
Um Musik geht es schon wieder nur am Rande: Seit Kurt Cobains Hemingway-liker Selbsttötung taucht seine Frau Courtney Love, Sängerin und Gitarristin der Band Hole, Tag für Tag in der bunten, vermischten und musikalischen Presse auf. Aufs intensivste geht es um ihre Befindlichkeit, ihre (Vor-)Ahnungen, ihren Drogenkonsum, das Baby mit Kurt, alles Bausteine einer never ending story. Erzählt wird ein weiteres Kapitel der unendlichen Geschichte populärer Mythen und ihrer irdischen Repräsentanten Sex, Drogen und Rock 'n' Roll – mit einem kleinen Unterschied: Diesmal sind Frauen die Helden, Frauen, aus denen Hole zu drei Vierteln besteht.
Und die sind alles andere als naiv. Auch wenn bei Courtney Love ein täglicher Überdruß am Business zum Ausdruck kommt, sind die in letzter Zeit gebetsmühlenhaft heruntergebeteten Statements – „Es geht nur um Musik“, „Hole sind eine Band“, „Ich will gute Songs schreiben“ – schöne, schlaue Distraktoren und immer nur die halbe Wahrheit. Courtney Love weiß mittlerweile ganz genau um ihre Mittel, um ihr Können und ihre immer mal wechselnden Einstellungen und Haltungen zum (Anti-)Rock-Stardom.
Was dem Mann recht war, ist seiner Frau nur billig: das Spielen mit Medien und Machtapparaten des Business. Das Herausfordern ihrer Grenzen, immer auf die Gefahr hin, daß es eine/n unvermutet doch zerbricht, daß – who's that sleeping in my brain – das plötzlich entstandene Abziehbild der eigenen Wirklichkeit zu Phänomenen führt, die man klinisch als „Persönlichkeitsstörung“ zu diagnostizieren pflegt. Natürlich geht es innerhalb dieses Kontextes um Macht: wie man mit ihr umgeht, was man sich rausnimmt. Es geht um Posen wie Positionen zwischen Brutalität und Prettyness und natürlich auch um den guten alten Mittelfinger called fake. Man soll nicht alles glauben, aber gerade dadurch wird Direktheit noch einmal möglich: „To be able to act stupid is a great gift“, klärte Love den englischen ID anläßlich seiner Sex- Ausgabe (!) auf.
Mit der Band Hole wurde vor ein paar Jahren das Vehikel für all die Ansprüche gegründet, und das hieß erst mal nur: Gitarre in die Hand, Punk, Girlism, auf souveräne Weise Fun haben. Und auch wenn Hole dann zusammen mit anderen Frauenbands wie Babes in Toyland oder L7 durch das zeitweilige Mithineinrühren in den großen Grungetopf der medienüblichen Ausschlachtung anheimfielen, waren sie doch so glaubwürdig, daß sich nach ihrem Vorbild eine ganze Reihe neuer Bands – Bad Girls, Rrriot Grrrls und andere – gründeten. Ziel: die üblichen rockistischen Wahrnehmungsschwellen durch verbale wie musikalische Radikalismen ins Vibrieren zu bringen.
Mit „Live Through This“ haben Hole jetzt ein Album gemacht, das, so radikal wie nötig und so einschmeichlerisch wie möglich, als total gelungener Popentwurf dasteht. Doch zugleich bohrt sich die Platte – heutzutage wirklich ein Kunststück – wie ein Pfahl ins Fleisch des Rock-Establishments. Was musikalisch unter der Bezeichnung „Rrriot“ oft nur noch fiesen, scheppernden, uninteressanten Punk bedeutet, wird von Hole neu zusammengesetzt, und das heißt: keine Zögerlichkeiten, keine Gebrochenheiten, wie noch auf ihrem Erstling, sondern straightes Songwriting. Hits und noch mal Hits, „we had a pop record in mind and that's what it is“.
„Live Through This“ ist voller geballter, aber kontrollierter Energie, agiert auch mit den wütenden Losgelassenheiten von Punk, knetet diese aber zu einer cool-kalkulierten, zeitgemäßen Rockvariante. Und das bedeutet heutzutage eben Pop und Punkte im Drei-Minuten-Takt, Songs, die sich oft genug in gelassener Ruhe und schläfriger Melancholie gefallen, dabei aber jedes melodiösen Tiefenschwindels entbehren. Live fast und versteh schnell.
Im Zuge dessen ist es zwangsläufig, daß das Album auch genug Derb- und Rohheiten enthält, die Kids, seien sie männlich oder weiblich, immer noch benötigen, um wenigstens eine Ahnung von Revolte zu erfahren. In den Lyrics bricht sich das in schnell verdaulichen Weisheiten Bahn, wie etwa in „Violet“: „Go On Take Everything, take everything, I want you to“. Oder, schon etwas frustrierender, in dem Song „Olympia“: „Well, I went to school in Olympia, and everyone's the same, what do you do – we're the revolution“.
Und natürlich kommt am Ende auch das hier nicht ohne die Tragik allen Pop-Schaffens aus: „Come make me sick, come on make me real, yeah, yeah – do it for the kids“. Gerrit Bartels
Hole: „Live Through This“ (City Slang/Efa)
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