Zwischen den Rillen: Pistolen und die Hölle
■ Nur selten mit Häkelrand: „Karmal Apple“ von Penelope Houston
Frau Houston, inzwischen reife 36, hat Kultstatus. Man könnte es sich schön gemütlich machen und einfach nur würdigen: Shouterin der kalifornischen Punk-Band The Avengers. Danach scharfe Kurve back to the roots. 1989 vom San Francisco Weekly zur besten Folk-Sängerin des Jahres gewählt. „Queen of Neo-Folk“. 1993 bei Spex Einnahme des obersten Treppchens als „Sängerin des Jahres“.
Titel und Verdienste – so viele Fachkräfte können wohl nicht irren. Trotzdem geht es einem mit Houstons dritter und – hört, hört! – „bester Platte“ erst mal wie mit korrektem Öko-Fraß. Man stochert darin herum, kaut mit scheelen Blicken nach links und rechts, um gegebenenfalls hurtig ausspucken zu können – und dann schmeckt er einem doch, der Fraß. Ja, man holt sich sogar Nachschlag, meint: das zwölfte Stück „Redemption“ läuft plötzlich in der Endlosschleife. „Redemptiohähähän“. Großartig. Unglaublich. Ja, was denn nun? Ungnädige Verwirrung.
Das geht dann auch in Ordnung. Die Songs einer Frau, die behauptet, nie lange Single gewesen zu sein, können keine ganz schlechte Freizeitumrahmung darstellen. Hier ist eine am Werke, die angenehm selbstverliebt und mit leiser Verachtung für alle, die drauf reinfallen, den runden Busen reckt. Eine immer wieder in Liebe fallende Frau, die ihre Tränen – entschlossen und ein bißchen kitschig – zu „pearls rolling away“ umwertet. Warum nicht lieben, ohne grottentief zu leiden? Richtig, schreit man voller Ungeduld, schon verführt durch eine Sirene, die prophetische Träume für keine Erfindung der Esoteriker hält und sich trotzdem Handlungsmöglichkeiten einräumt.
„Karmal Apple“ hat sie denn ihr jüngstes Album auch genannt, ein etwas bemühtes Wortspiel aus Karma und dem Granatapfel, bekanntermaßen Symbol schöner Unzucht. Mit „Ride“ wird derselbe von Frau Sirene kredenzt – aber wehe dem, der sie anlügt. Im noch am ehesten an alte Houston- Wurzeln erinnernden Wechsel von fies knarrendem Gesang und lieblichem Mädchen-Gesäusele verspricht sie Pistolen und die Hölle.
Dabei haben Penelopes selbstrettende Abgrenzungen nie was vom penetranten Geschlechterkampf einer Camille Paglia an sich; sie sucht vielmehr immer wieder nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen „ihr“ und „ihm“. Manchmal, im Übergang, ist der das Bett, und warum auch nicht.
Aber das mit Sex und Liebe allein hielte einen wohl kaum bis hin zu „Redemptiohähähän“ bei der Stange. Nein, da ist mehr, was gefällt, zum Beispiel die Abwehr deformierender Erwartungen („Everybodys Little Dream“) und die Feststellung, daß wirkliche Sensibilität nicht mit prinzeßchenhafter Empfindlichkeit verwechselt werden darf. Es gibt einen schönen, im Stil der Traditionals geschriebenen Song über einen Mord und das Pflanzen abgesäbelter Finger („Flourish“); und schließlich so was wie selbstverständliche Lieder, zum Beispiel „Picturesque“ oder „Fall Back“, die man Nesthockern und ewig Leidenden vorspielen möchte („all we're keeping is the name ...“). Mit „The Mermaid“ geht es da noch deutlicher zur Sache, werden im warmen Stübchen kopfgemalte Todesphantasien und Cinderella-Komplexe ans Leben, an den Alltag verwiesen.
Houstons Mittel, dergleichen auszudrücken, sind über die Jahre einigermaßen feiner und klarer zugleich geworden. „Folk- Perlen“ trifft es gerade nicht. Mal, wie bei „New Day“, wird die Stimme durchscheinend in den Hintergrund gemischt wie ein Aufdämmern, drängeln sich Mandoline, die alte Kinder-Melodica und Autoharp (Abart der Zither) vor, mal gönnt sich Houston melodische Arabesken („Happy Ending“). Dann wieder grölt sie frei heraus: „Redemptiohähähän“. Man kann nicht umhin, sich vorzustellen, daß Houston und Dave Schramm eigentlich dicke Freunde sein müßten.
Leider gibt es ein paar an Violine und Cello ausagierte höhere Kunscht-Ambitionen, die zwei oder drei Songs einen kunstgewerblichen Häkelrand verpassen. „Make Me“ ist überhaupt das einzig peinliche Stück auf „Karmal Apple“, ein reichlich simpler Song über das sexuelle Gewecktwerden, offenbar im schönen Taumel übergroßen Sinnenrausches aufs Blatt und unters Publikum geworfen („I was made out of wood/now I'm flesh and blood/it feels good yeah yeah“). Aber letztlich ist „Make Me“ so verzeihlich wie ein Appelgriebsch: Man muß ihn schließlich nicht mitessen, erst recht nicht, wenn der Appel selbst delikat genug war. Anke Westphal
Penelope Houston: „Karmal Apple“ (Normal/Indigo). „Ride“ ist bereits als Single erschienen, die komplette CD in Kürze im Handel.
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