Zwischen den Rillen: Testament eines Seelentechnikers
■ „Mr. Fingers“ Larry Heard verabschiedet sich vom House – elegant und zurückhaltend
Nachdem der erste Schock überwunden ist, wird man sich langsam der schlimmen Tatsache bewußt: Larry Heard wird keine Platte mehr veröffentlichen. Wie die Plattenfirma mitteilt, ist „Dance 2000“, eine Zusammenstellung der Arbeiten aus dem letzten Jahr, seine letzte Veröffentlichung. Definitiv. Heard hat sich aus dem Musikgeschäft verabschiedet und sich einen Job als Software-Ingenieur gesucht. Es ist davon auszugehen, daß das kein Promo-Gag ist. So etwas hatte Larry Heard nämlich in seiner zwanzigjährigen Karriere nicht nötig, und es würde einen Schatten auf den tadellosen Beitrag werfen, den Heard in der Geschichte der House-Musik hinterlassen hat.
„Dance 2000“ zelebriert ausgiebig, was Heard zu einem international hochgeachteten Produzenten hat werden lassen: Eleganz und Zurückhaltung. Ein 4/4-Beat in klassischer Geschwindigkeit, der nie auf großen Wumms macht, eine sanft schiebende Baßlinie, eine einfache Akkordfolge, die flächig oder akzentuiert klingen kann, eine ebenso einfache Lead-Melodie.
Das ist es auch schon. Weit und breit keine dramaturgischen Mätzchen, kein rhythmischer Firlefanz, keine verschrobenen Klangtüfteleien, die ihre eigene Versiertheit ausstellen. Alles ist eingebettet in einen weichen, angenehmen Gesamtsound, der jedoch nie in die Nähe des Süßlich-Kitschigen kommt. Und trotzdem: So einfach die Tracks auch aufgebaut sind, so wenig sind sie vergleichbar mit simplem Chartsfutter. Sie sind rund und vollkommen und nur in zweiter Linie funktional.
Daß Heard für den Dancefloor produziert, steht zwar außer Frage, ist seinen Stücken aber nicht auf die Stirn geschrieben. Selbstgenügsam und perfekt stehen sie für sich. Bewußt wurde das immer bei den raren Liveauftritten. Allein saß der Mann, der mit „Can You Feel It“ den Klassiker des moody House produziert hat, hinter einem kleinen Keyboard, verlor sich in unendlich gedehnten Phrasierungen eines einmal gefundenen musikalischen Motivs, begann mit Seele von seiner Einsamkeit an diesem Abend zu singen, und vor ihm beruhigte sich auf der Tanzfläche das Publikum, begann ihn anzustarren und zu spüren, daß es nicht nötig ist, Heards Musik zu vervollständigen.
In solchen Momenten lag Befremdlichkeit: Da paßt jemand nicht richtig in den Rahmen, da bleibt ein eigenartiger Rest. Blickt man auf Larry Heards Geschichte, findet man darin gleich mehrmals das Motiv, irgendwo hinkommen zu wollen, wo er eigentlich nichts zu suchen hat.
Schon als Highschoolboy, heißt es, unterschlug er das fürs Sandwich abgezählte Taschengeld und brachte es in den Plattenladen. Und als ein Typ aus seiner Klasse eine Band gründete, bluffte Heard sich als Schlagzeuger hinein, obwohl er keinerlei Ahnung von diesem Instrument hatte.
Als seine Freunde dann Mitte der achtziger Jahre anfingen, Schallplatten zu mixen, versuchte Heard, seine diesbezüglich mangelhaften Fertigkeiten durch Hyperaktivität zu kaschieren. Aus dieser Zeit stammt sein Beiname Mr. Fingers, unter dem er berühmt wurde und seine ersten Platten veröffentlichte.
Viel wollen, nichts können – was man gern als genialen Dilettantismus beschreibt, gibt der Kunst einen immer wieder entscheidenden Schub. Auf dem Feld der House-Musik, wo die Vorgaben – Tanzen machen! – recht einfach sind, gilt dies ganz besonders. Am Tag, an dem Larry Heard 1983 sein erstes Keyboard und eine 707-Drummaschine kaufte, produzierte er damit einen Track, der später den Titel „Washing Machine“ bekam.
Als solche erschien er 1985 bei der Firma Trax. Es ist eines der Stücke, aus denen das Acid House gebaut wurde. Darauf basiert die Legende Larry Heard.
Trotzdem kam alles nicht so richtig in Gang. Das Projekt Fingers Inc., das Heard zusammen mit dem Sänger Robert Owens gründete und mit dem er dem verschrieenen Genre Vocal House eine neue, durchaus am Song orientierte Qualität geben wollte, verlief nach kurzem Aufwind im Sande.
Daß die Stimme in Heards Musik dennoch eine wichtige Bedeutung hat, zeigen Linernotes und Lyrics. Wenn in ihnen von „joy“ oder „pleasure“ die Rede ist, geht es nicht um das Wochenendvergnügen, sondern um eine spirituelle Zufriedenheit am menschlichen Dasein.
Bei House- und Technoproduzenten aus dem Nordosten der USA ist dies ein nicht selten auftauchendes und geographisch dort verwurzeltes Motiv. Heards Insistieren darauf, daß dieses Soul-Gefühl nicht durch „Party“ oder „Rave“ zu ersetzen ist, machte ihn zu einem einsamen Streiter. Am Beginn einer seiner letzten Singles beschreibt er das Leben als ein Kontinuum aus Hinfallen und Weitergehen.
Was wie ein Gemeinplatz klingt, ist Heards Ausgangspunkt und hat sich über die Jahre vollgesogen mit konkreter Erfahrung. Jetzt hat der Mann anscheinend einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Gut für ihn, hoffentlich, schade für uns. Schnief. Martin Pesch
Larry Heard: „Dance 2000“
(Distance/Efa)
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