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Zwischen den RillenZum Kotzen schön

■ Quo vadis, Rock? Chokebore, Earthlings? und Swell versuchen sich an Antworten

Mit den Worten „Do you think I'm gone?“ beginnt „Black Black“, die letzte Platte von Chokebore. Hier spricht das einsame, männliche Individuum, das traditionell im Zentrum der Rockmusik stand. Man könnte aber auch meinen, die gesamte gitarrenlastige Rockmusik würde mal schüchtern anfragen. Und man müßte erwidern: Ja, wohin denn bitte schön?

Den Rückzug ins Private angetreten hat der Rockmusikant, wenn er nicht gerade mit HipHop experimentiert, Instrumentals spielt oder den Schweinerocker auf elektronischer Basis rausläßt. Weshalb Troy Bruno Balthazar, Alleinherrscher von Chokebore, der miesgelauntesten Band in Los Angeles, sich zwar alle Mühe gibt, geneigtes Publikum für die Schwachheiten verlorener urbaner Männerseelen zu interessieren, allein: Das hat sich zuletzt als schwer, möglicherweise als zu schwer herausgestellt.

So was drückt natürlich zusätzlich auf die Stimmung. Selten zuvor waren solche Klagen zu hören, nicht einmal von Chokebore selbst. Balthazar dehnt die Vokale, bis es ihnen wirklich nicht mehr gut tut, die Rhythmusgruppe schläft ein, und die Gitarrensaiten hängen durch bis zum Boden. Ein Song dauert 15 Minuten und zehn Sekunden und rauscht komisch. Ein anderer heißt „Sad Getting Sadder“. Einmal wird der Stand einer Liebe beschrieben, wie er kaum frustrierender sein könnte: „She thought I owned her, but I'm sleeping with somebody else, lying to somebody new.“ So geht das weiter durch eine Welt aus Enttäuschung, verlogenen Küssen und überhaupt nicht allzu viel Freude. Ian Curtis an dem Tag, als er Selbstmord begann, war eine Stimmungskanone dagegen. Natürlich ist das schrecklich, aber halt auch wundervoll zerbrechlich, geradezu zum Kotzen schön.

Schön ist kein Wort, das einem beim Debüt der Earthlings? so prompt einfällt. Eher träge. Oder langwierig. Möglicherweise langatmig. Langweilig nun allerdings auch wieder nicht. Hier ist Rock zwar möglicherweise ebenfalls Selbstreflexion, aber doch in erster Linie ein schweres Stück Arbeit. Doch dann beginnt ... ja, wie soll man das nennen? Dub? Improvisation? Jazz-Rock? Oder einfach Geblubber? Man kann das ruhig hören, so ruhig ist es. Schmeckt trotzdem des öfteren nach angestrengter Pflichtaufgabe.

Die Pflicht? Ist nichts weniger, als der Rockmusik die Spontaneität zu retten. Das Mittel dazu? Ist die Session. Dazu hat man sich einen Haufen Prominente aus geradezu unverschämt unterschiedlichen Genres eingeladen: Martina (Gespielin von Tricky), Dave Grohl (Nirvana-Überlebender und jetziger Foo-Fighter), Scott Reeder (Bassist der aufgelösten Wüstenrocker Kyuss) und die Singer/Songwriterin Victoria Williams. Nun kann man nicht nur die hören. Man kann auch all das hören, wofür die stehen. Das ist ungefähr die amerikanische Hälfte der Rockmusikgeschichte.

Dies alles in einem allerdings kaum akademisch zu nennenden Rahmen. Eher ziemlich relaxt. Minutenlang passiert kaum was, als wäre die Sessiongemeinde im idyllisch in der Nähe des Joshua Tree Nationalparks gelegenen Studio auf der Suche nach der Essenz sich nie einig, aber dafür ganz schön bekifft gewesen. Das hört sich zwar so gut wie nie nach den momentan wieder allgegenwärtigen Roots an, sondern eher nach Unentschiedenheit. Unterbrochen wird die selige Lethargie ab und an durch einen richtigen Rocksong. Der dann rockt. Komische Platte auf jeden Fall.

Als Swell Anfang der 90er Jahre in San Francisco ein Mikrofon aus dem Fenster hingen, um als Grundlage ihrer Aufnahmen den Sound ihrer Heimatstadt miteinzufangen, wurde das fast schon als rockmusikalische Sensation rezipiert. Dabei war es wahrscheinlich schon damals nur einer der letzten Versuche, sich nicht allzu früh der genretypischen Vergreisung zu ergeben. Inzwischen ist die längst als sympathische Alternative akzeptiert – und Swell versuchen sich am Computer. Dabei treten sie vor allem den Beweis an, daß grundsätzlich veränderte Produktionsbedingungen noch lange nicht das Produkt verändern müssen. Ein Effekt, den man schon des öfteren (so unlängst auch bei Notwist) beobachten durfte und der trotzdem einige hübsche Ergebnisse wie eben Notwist hervorgebracht hat. Daß Swell auf „For All The Beautiful People“ eher Pop machen, hat aber weniger mit dem Computer zu tun als damit, daß ihre Songs endlich nicht mehr so zerfasern wie früher, des öfteren tatsächlich auf so was wie einen Refrain zusteuern. Wenn schon traurig, dann richtig, denkt man sich dann aber. Am besten wird es obskurerweise dann, wenn es ebenso monoton wie vorsichtig dahinrockt, während irgendwas billig fiepst. Das ist zumindest lustig. Der Witz hört dann auf, wenn es minutenlang nur noch blubbert.

Innen in der Platte von Swell ist ein Foto zu sehen von ein paar alten, schon ziemlich bärtigen Männern, die gemütlich am Tresen sitzen. Das mag eine Antwort auf die Frage sein, wohin die Rockmusik verschwunden ist. Allerdings: Wer möchte schon so enden? Andererseits: Es gibt Schlimmeres. Thomas Winkler

Chokebore: „Black Black“ (Boomba/Indigo)

Earthlings?: „Earthlings?“ (Crippled Dick Hot Wax/EFA)

Swell: „For All the Beautiful People“ (Beggars Banquet/PIAS/Connected)

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