Zwischen den Rillen: Trostspender ohne Ende
■ „Gimme Indie Rock“: Neue Alben von Sebadoh, Modest Mouse, Built To Spill
Das Schöne am Indie-Rock ist, daß seine Gegenwart immer auch Vergangenheit und Zukunft zugleich ist. Es gibt ihn, und es gibt ihn nicht. Mal verliert man die Bands aus den Augen, zu vieles gilt es in der Welt von Pop, Rock und Elektronik zu entdecken. Mal ist man froh, daß weiterhin hartnäckig an einem Rockmodell gearbeitet wird, das nie und nimmer Pearl Jam oder Aerosmith heißt.
Insofern reibt man sich auch erst mal überrascht die Augen, wenn eine Band wie Sebadoh ein neues Album veröffentlicht. Sebadoh? Genau, die Band, die 1992 mit „Sebadoh vs. Helmet“ debütierte, einem reichlich zerschnipselten und zerfahrenen Werk. Da kreischte ein Mann namens Lou Barlow, Ex-Bandmitglied von Dinosaur jr., „Gimme Indie Rock“, und da wurde alles nicht so heiß gespielt, wie es klang. Wenn es richtig schön wurde, war alles schon wieder kaputt und vorbei.
Letztendlich ging das Sebadoh genauso: die Band steht stellvertretend für die Unschlüssigkeit und flapsige Attitude von Legionen von Indie-Bands. Im Jahr, als Kurt Cobain starb, veröffentlichten Sebadoh mit „Bakesale“ ein kleines Meisterwerk. Es hagelte viel Lob und Ehr, doch die Band wußte damit nicht so recht umzugehen. Barlow verlegte seine Tätigkeit auf unspektakuläre Seitenprojekte. Doch selbst der Song zu Larry Clarks Film „Kids“, der ihn mit einem solchen Seitenprojekt, der Band Folk Implosion, in die Charts hieven sollte, sorgte nicht für Beständigkeit.
Lieber wieder ein Sebadoh- Album machen, es „The Sebadoh“ nennen, die echten halt, will heißen: Hey, wir sind wieder da, take it or leave it. Und da hört man Sebadoh nun alles andere als runderneuert oder gar elektronisch am Werk. Hat man sich aber reingehört, bietet die Platte alles, was das Indie-Herz begehrt: kruder Humor (zweiseitige Thanx-List im CD-Inlet, da wird jeder HipHopper blaß!), „Love Is Stronger Than The Truth“-Herzschmerz, Melodien natürlich, verzerrte Gitarren, scheppernde Drums und Rückkoppelungen. Und mit „Flame“ und „Cuban“ zwei Songs, die man so nicht erwartet hätte: Der eine hört sich an, als hätte Motowns Berry Gordy jr. sich in der Studiotür geirrt und kurzerhand mitgeholfen, der andere, als wäre genau dies Ozzy Osborne und Lynyrd Skynyrd widerfahren.
Basteln Sebadoh an den schnellen, kleinen leckerschlecker Nummern, an Songs, die man schnell begreift und wieder vergißt, so haben es die beiden anderen großen Indie-Bands dieser Tage mit den Epen. Sie verweigern den schnellen Zugriff auf ihre Songs durch Länge, Breite und Tiefe.
Modest Mouse, drei Jungs aus, jawohl, der Nähe von Seattle, haben mit „The Lonesome Crowded West“ das erstaunlichste Gitarrenalbum seit langem veröffentlicht. Fast ist man geneigt zu schreiben: Die sind wirklich die Zukunft von Rock und Indie-Rock. Für so ein Album geht man meilenweit, verkauft alle seine Platten, hört nie wieder was anderes – keine schicken Großstadtmusiken, keinen französischen House, kein „Liebes Lied“, kein Nichts, kein Garnichts. Auch nicht The Make Up.
Erst mal ist zwar alles sehr unspektakulär: Gitarren hier, Gitarren da und eine Stimme, die nicht unbedingt daran interessiert ist, Botschaften zu transportieren. Doch irgendwann ist nur noch Erstaunen, weil alles so großartig und cool und seelenvoll ist. Musik, nach der sich der weiße Trash alle viereinhalb Finger leckt, ein Album, das aufs beste den Soundtrack zu Rick Moodys Drogen-Suburbs-Kaputt-Buch „The Garden State“ abgegeben hätte, mit Trostspendern ohne Ende. Modest Mouse nehmen einen mit auf eine große Achterbahnfahrt der Gefühle: rauf und runter, kleine Verschnaufpausen, große Eruptionen. Gleich der Opener „Teeth Like God's Shoeshine“ ist so ein Ding: spröder Anfang, ein Gitarrenpling hier, eins dort, kraftvoll geht's weiter, dann wird es ganz soulful, ruhig, soll nie wieder aufhören usw. Ein Songwerk in ca. 25 Akten – kein Song zuviel, ein jeder nach der Modest-Mouse- Devise gestrickt „The years go fast and the days so slow“. Hier gibt es viel zu entdecken, die Zeit ist kurz, der Long Distance Drunk steht bereit, also packen wir's an.
So weit davon entfernt sind auch Built To Spill aus Idaho nicht. Nur, daß ihnen das Rauhe, Ungestüme und Jungshafte fehlt. Die Songs, die Doug Martsch, der Bandvorsteher, für das neue Album „Keep It Like A Secret“ komponiert hat, sind vielschichtig, ohne das da ein Dazwischenkommen wäre. Perfekt und zugeschnürt das Ganze, selbst wenn Martsch gerne sagt, seine Songs wären nur deshalb so vielschichtig, weil er nie zufrieden wäre und immer noch eine Gesangsspur oder ein Gitarrenlick mehr draufpacken müsse. Brian Wilson revisited – so ein Album sollte man irgendwann tatsächlich hüten wie seinen Augapfel. Kein Indie-Rock mehr, sondern Größe, Konzept, Unsterblichkeit, Theatralik, Pop..Auf keinen Fall Musik zur Zeit, und für alle drei Bands gilt eine Zeile aus einem Sebadoh- Song: „I don't really want to loose you“. Gerrit Bartels
Sebadoh: „The Sebadoh“ (City Slang/Efa); Modest Mouse: „The Lonesome Crowded West“ (Matador/Rough Trade); Built To Spill: „Keep It Like A Secret“ (City Slang/Efa)
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