: Zwischen den Kiemen stimmt's
Nach dem 4:0 in Landshut arbeitet der DEL-Meister Kölner Haie im siebten Siebtel der Hirn-Synapsen bereits wieder an der Titelverteidigung ■ Aus Köln Bernd Müllender
Nach Mitternacht und also Montag früh waren die Cracks der Kölner Haie in die heimische Nobeldisco „Cha Cha“ eingerauscht, stellten den Meistercup in die Mitte der Tanzfläche und umzappelten ihn wild und ekstatisch wie das Goldene Kalb. Hai-ssa endlich Meista – entzückte sich auch die Kölner Boulevardpresse. Und gestern abend füllte der Club die Fans mit tausenden Litern Freibier bei der Eisstadion-Gala ab. Die Eisheiligen des Kölner EC haben den Pucktitel gewonnen, zum erstenmal wieder nach sieben Jahren, durch ein 4:0 im ultimativen fünften Playoff-Finale Sonntag nachmittag beim EV Landshut. Köln Meister – als Vorrundensechster ist das sensationell; als kompaktestes, psychisch stabilstes Team der Finalrunde folgerichtig und hochverdient.
Drei Kölner spielten dabei eine ganz besondere Rolle: Für Nationaltorwart Josef Heiß, 31 mittlerweile, endete ein tragisches Menetekel: In den achtziger Jahren stand Heiß im Düsseldorfer Kästchen, und Köln wurde mehrfach Champion. Er wechselte in die Domstadt und postwendend jubelte die DEG. Jetzt hat auch er seinen Titel. Ganz anders Ex-Nationalverteidiger Mike Schmidt (33): Der wurde durch clevere Vereinswechsel zum richtigen Zeitpunkt zum sechsten Mal in Folge Titelträger: Erst viermal mit Düsseldorf, dann in München, nun in Köln.
Und da ist Sergei Beresin, der junge Russe. Er ist Liebling in Köln: Es scheint, als schwebe er schwerelos über die Eisflächen. 55 Tore hat er geschossen, dabei am Sonntag das späte (42.), aber vorentscheidende 1:0 in Landshut und am Freitag abend beim deklassierenden 8:2 allein drei Tore in einem Drittel, die das Spiel entschieden und die Meisterschaft kippten.
Es war eine Saison wie keine zuvor. Erstmals hieß die höchste Spielklasse nicht mehr altväterlich Bundesliga, sondern programmatisch-ehrlich Deutschmark-Einnahme-Liga (DEL). Führungsskandale und Personalwechsel überschatteten über weite Strecken den Spielbetrieb, und als alles überstanden schien, kam dann letzte Woche noch die Schnapsidee schlechthin: eine aufgeblähter Spielplan 1995/96 mit 68 statt 44 Vorrundenspielen. DEL-Boß Gossmann kündigte wahrhaft amateurhaft, weil sponsorenverschreckend, bis zu einem halben Dutzend weiterer Clubkonkurse an, und die Spielergewerkschaft drohte offen mit Streik. Flugs ward nun am Wochenende eine neue DEL-GmbH gegründet und ein noch neuerer komplizierter Modus vorgestellt mit nur 50 Spielen bis zu den Play-offs und Merkwürdigkeiten wie einer „DEL-Open“- und einer „DEL-Masters“-Runde.
Unruhe, Hickhack und zwischenzeitlich Chaos gab es auch in Köln. Vor Jahresfrist hatten sich die Haie bei 6,5 Millionen Mark Miesen soeben noch vom Angelhaken des Amtsgerichts losgerissen. Dann wurde trotz zwischenzeitlich zehn Siegen in Folge im Januar der russische Trainer und Beresin-Entdecker Wladimir Wassiliew gefeuert. Bob Murdoch, Meistermacher mit Montreal Canadians in der NHL und grade durch das Ende der Münchner Maddogs ohne Stelle, kam und ward „die Rettung im letzten Moment“, sagt heute Co-Trainer Bernd Haake zur taz, „wir hatten erkannt, daß wir uns mit Wassiliew auf der Stelle bewegten“.
Wassiliew, sagt Haake, trainierte vornehmlich Kraft, Einsatz, Zweikämpfe. Die Puckphilosophie des Russen: Wenn sich jeder im Kampf Mann gegen Mann helfen kann, ist automatisch dem Team geholfen. „Doch auch die Mannschaft merkte, daß es so nicht mehr weiterging.“ Der Puckpädagoge Murdoch habe dann „taktische Lerninhalte aufs Eis gebracht“, habe gesehen, welchen einzelnen Spielertypen was wie gelehrt werden müsse. Und vor allem habe er die sensiblen Seelen der rauhen Burschen gestärkt: „Sechs Siebtel der Reserven“, zitiert Co- Coach Haake den Sportpsychologen Eberspächer, „werden bei Streß aus dem Unterbewußtsein abgerufen. Daran haben wir gearbeitet – das siebte Siebtel aus den Synapsen des Hirns richtig abzuschöpfen.“
Und siehe: In den Finals stimmte es zwischen den Kiemen. Doch nach dem Titel ist vor der Titelverteidigung: Haake kündigte an, man werde „den ganzen Sommer intensiv daran arbeiten, Winzigkeiten bei der Konzentration zum Torschuß zu verbessern und bei der mentalen Vorbereitung auf einen Check“. Mit Jayson Meyer aus Krefeld haben die Haie den derzeit wahrscheinlich besten DEL-Verteidiger dazugekauft. Mike Schmidt, der Abo-Champ, bleibt ohnehin. Nur Sergei lernt schon mehr Englisch als Deutsch – er will in die NHL. Die Toronto Maple Leafs haben ein Draftnet mit einem fetten Haie-Köder ausgelegt.
Schiedsrichter: Slapke (Peiting) - Zuschauer: 7.000 (ausverkauft)
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