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Zwischen Yeti-Hatz und Waldsterben

■ „Yeti - Der wilde Mann“ von Gao Xingjian in der Inszenierung von Lin Zhoahua am Thalia-Theater Hamburg

Lore Kleinert

Ein chinesischer Regisseur inszeniert ein chinesisches Stück mit den Schauspielern des Thalia-Theaters in Hamburg. Das schürte Erwartungen auf fernöstliche Weisheiten und postrevolutionäre Pekingoper. Wenn die Traummaschinen des Robert Wilson aus Texas knirschen und vor allem die versammelte Kritik inzwischen alles schon vorher kennt, muß der ausgezehrten, bildersüchtigen Phantasie Exotisches zum Fraß vorgeworfen werden, neuer Stoff für blaß gewordene Träume. Immerhin gilt der 52jährige Lin Zhoahua, stellvertretender Direktor des Pekinger Volkstheaters, in seiner Heimat als modern; sein Stück Busstop wurde vor vier Jahren zensiert wegen „zu negativen Inhalts“ und ungewohnter Formen.

Der Raum, den er jetzt in Hamburg öffnet, ist groß, schwarz - und leer. Ganz entfernt glaubt man Bäume zu sehen, davor ein Podest, darauf ein alter Mann. Er singt, chinesisch zunächst, bis er im Sprechgesang einen anderen ankündigt der allerdings suche nur den Wilden, den sagenhaften Yeti. Doch nicht das Fremde, Wilde rückt jetzt nahe: der Mann mit Rucksack und Windjacke sieht nicht nur aus wie ein Umweltschützer in Aktion, er ist Ökologe und will den Wald retten. Am Ende gelingt ihm das sogar; der Direktor des Holzkombinats geht in Pension, der Wald wird Naturschutzgebiet und für die Zukunft von Mensch und Graureiher wäre gesorgt.

Wäre das alles, hätten wir die ökologische Variante kulturrevolutionären Agitproptheaters und einen langweiligen Abend erlebt, zumal der Baum- und Vogelschützer sich gern auch ans Publikum wendet und in bester epischer Tradition hilfreiche Erklärungen zum Waldsterben abgibt. Jedoch: diese Geschichte ist nur eine, und nicht einmal die wichtigste. Gleich zu Beginn, noch während der Freund des Waldes sich im Dorf in den Bergen zu orientieren sucht, schneidet ein Lichtkegel das Gesicht einer Frau aus dem Dunkel. „Paß auf dich auf“, sagt sie, verschwindet wieder, „ich bin unglücklich“, und als später nur durch ein Quadrat aus Licht ein kleiner Raum auf die Bühne gezeichnet wird, begreifen wir: Es ist seine Frau, und sie wird ihn verlassen. Sie will einen Mann, der sie liebt'und nicht nur seine Arbeit. Fernes China? Keineswegs. Er überläßt ihr die Möbel und steht wieder im Wald. Ein Mädchen aus dem Dorf verliebt sich in ihn. Der schmale freundliche Mann ist hilflos, will er doch wieder fort, um weitere bedrohte Wälder zu retten.

Exotisch ist vielleicht der bunte Hochzeitszug, als sie dann, gegen reichliche Brautgeschenke, mit einem jungen Mann verheiratet wird; ihr Schrei „Du kannst mir sehr wehtun“ ist es nicht, und auch die Kupplerin, mit rotem Haar in traditionellem Gewand, ist vertraut, boshaft und witzig zugleich, eine Marthe Schwerdtlein im chinesischen Dorf. Die Bauern und Holzarbeiter, der Lehrer, der Ökologe, holzschnitthaft sind sie mitunter, aber keine Sprechblasen -Agitatoren, gebrochen gespielt, denn sie haben es nicht leicht, schlagen sich durch und versuchen, aus dem Yeti, dem Wilden, einen kleinen Vorteil zu ziehen mit ihren wilden Geschichten und mit rotgefärbten Affenhaaren. Der Journalist, mit Hornbrille und festgeklebtem Schopf auch nicht gerade fremd, will mit seiner Jagd nach dem Yeti eines der „vier Welträtsel“ lösen helfen, und Gao Xingjian karikiert in seinem Stück den blinden Drang von Naturforschern und Professoren ebenso wie die Sensationslust der Medien und die Geldgier der kleinen Leute - als läge das chinesische Dorf geradewegs am Loch Ness oder neben Altötting.

Damit es aber dort nicht bleibt, setzt der Regisseur zwischen Waldsterben und Yeti-Hatz und gegen die Geschichten vom Zusammenprall der Stadtmenschen und der Dorfbewohner in ihren Hanfsandalen die Lieder des alten Sängers. Er als einziger kennt noch das Epos von der Dunkelheit, als Himmel und Erde noch eins und Mann und Frau noch gleich waren. Wenn er singt, ist er Schamane und Priester, beschwört vielfarbige Tierwesen in chinesischen Masken zum Schwertertanz oder Regenzeremoniell, weckt die Erinnerung an taoistische Rituale und uralte Magie.

Wenn er vom zerstörerischen Hochwasser erzählt, zeigt der Chor eine Gruppe von Schauspielschülern, Gischt, Brandung, Strömung, Gewalt und schließlich die weißen Gebeine, die zurückbleiben. Wenn der Wald zum Leben erweckt wird, spürt man, wie Bäume wachsen, wie sie sprechen und wie sie sterben. Diese Sequenzen, von Peter Franke als altem Sänger glänzend zusammengehalten und kunstvoll in farbiges Licht getaucht, lassen eine Ahnung davon aufkommen, aus welch großer, alter Theatertradition ein chinesischer Regisseur schöpfen kann, wenn er, wie Lin Zhoahua, „die guten Traditionen Chinas mit den guten Kunstmitteln des Westens“ verbinden will.

Erlaubt das nun übersättigten westlichen Kulturkonsumenten, in Exotik zu schwelgen? Überraschenderweise gab es außer heftigem Applaus auch Buhs, bei Thalia-Premieren sonst eher selten. Möglicherweise wollten einge es doch nicht so genau wissen: Immerhin ließ es der alte Sänger nicht an Seitenhieben auf die Jahre der Kulturrevolution fehlen, als er mit einem Schild um den Hals als Volksverderber über die Dörfer geschleift und fast zu Tode geschunden wurde. Auf sein Epos der Dunkelheit stürzen sich Wissenschaft und Presse und feiern die Wiederentdeckung einer verloren geglaubten Kultur. Schamanen sind eben genauso selten wie Riesenpandas oder Yetis und allemal gut für eine Mediensensation, und das ließ auch die Rettung des Waldes mit Skepsis betrachten. Das chinesische Stück unter chinesischer Regie ließ sich doch nicht so umstandslos vereinnahmen, weder für lupenreine Auswege aus ökologischer Misere noch für ein Bad in exotisch-unverbrauchter Bilderfülle.

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