: Zwischen Scharia und Laizismus
■ Ex-Premierministerin Benazir Bhutto über ihre Absetzung, den Wahlkampf und die Probleme einer Politikerin im islamischen Pakistan INTERVIEW
Am vergangenen Wochenende bestätigten pakistanische Richter die Rechtmäßigkeit der Entlassung Benazir Bhuttos aus dem Amt. Der ehemaligen Premierministerin und Chefin der Pakistan People's Party werden Korruption und Unfähigkeit vorgeworfen. Doch vor allem die wachsende Unzufriedenheit des Militärs mit Bhuttos Kurs führte zur Auflösung des Parlaments am 6. August. Am kommenden Mittwoch wird in Pakistan gewählt. Die taz sprach am Wochenende mit Frau Bhutto auf dem Flug von Karachi in ihren Heimatort Larkana.
taz: Ihr Ehemann Asif Zadari befindet sich in Untersuchungshaft, gegen Sie und ihre Minister laufen Verfahren wegen Korruption. Würden Sie noch von einem fairen Wahlkampf sprechen?
Bhutto: Nein! Die Übergangsregierung versucht auf vielfältigste Weise, durch unbewiesene Verleumdung und administrative Behinderungen die Wahlen zu beeinflussen.
Welche Rolle haben die Militärs bei Ihrer Entlassung gespielt und warum richtet sich Ihre Kritik jetzt auch gegen den Präsidenten Ishak Khan, den Sie anfänglich noch in Schutz genommen hatten?
Ich möchte mich hier nicht weiter zur Rolle des Militärs äußern. Ich kritisiere den Präsidenten, weil er mich getäuscht hat. Seit Mai wußte ich, daß eine Verschwörung gegen mich im Gange ist. Meine Leute in der Nationalversammlung wurden abgeworben, meine Anhänger bedroht und bedrängt. Der Ministerpräsident des Punjab (Pakistans bevölkerungsreichster Provinz) soll sogar geäußert haben, daß man bereit sei, eine Pistole an meinen Kopf zu halten, wenn das Mißtrauensvotum scheitern sollte. Der Präsident hat mir wiederholt, sogar noch am 6. August, garantiert, daß er die Nationalversammlung nicht auflösen werde.
Was waren die entscheidenden Einwände der Opposition gegen Ihre Politik?
Ich betrachte die gegenwärtige IJI (Islamic Jamhouri Ijtehad) Regierung nicht als in Opposition zu mir stehend. Sie haben keine Prinzipien, kein Manifest, nichts. Die wirkliche Opposition kommt von den Teilen des Establishments, die glauben, sie könnten das Land besser regieren. Differenzen bestehen allerdings in der Afghanistanfrage. Die IJI will dort eine fundamentalistische Regierung sehen. Wir wollen jedoch, daß die Afghanen über ihre Zukunft selbst entscheiden, so daß die Flüchtlinge zurückkehren können. In der Kaschmirfrage habe ich die Wahrung der Menschenrechte in den Vordergrund gerückt, während die Politik der IJI aggressiver ist. Wir wollen die Gesellschaft liberalisieren. Wir haben auch eine Privatisierung der Medien betrieben.
In den 20 Monaten Ihrer Regierung hatten Sie dennoch viele Schwierigkeiten, Ihre politischen Ziele umzusetzen.
Ich habe mehr zur politischen Konsolidierung erreicht als Zia in zehn Jahren. Nur zwei Provinzregierungen standen hinter mir, als ich an die Macht kam, und dennoch habe ich die Wahlen gewonnen. In Azad Kaschmir (dem pakistanischen Teil des umstrittenen Gebietes) konnte ich die Regierung stellen. Das größte Problem bestand im Punjab, wo die IJI regierte. Doch die Führung dort hat öffentlich erklärt, daß sie mich bis 1993 akzeptieren werde. Auch in ökonomischer Hinsicht gab es eine Konsolidierung. Die Inflation wurde auf die Hälfte reduziert. Inlandsinvestitionen haben sich vervierfacht und das Defizit hat sich verringert. Wir waren sehr erfolgreich in der Drogenbekämpfung. Eine Frauenbank hat Kreditchancen für arbeitende Frauen geschaffen. Auf Provinzebene sollte ein Frauenhilfsprogramm eingerichtet werden. Im August stand eine Gesetzesvorlage zur Entscheidung an, mit der frauendiskriminierende Regelungen reformiert werden sollten.
Doch in der Frage der islamischen Scharia-Gesetze konnte sich die PPP gegen die religiöse Lobby nicht durchsetzen.
In der Geschichte unseres Landes sind die Scharia-Gesetze immer wieder zum Thema gemacht worden. Der Senat, in dem wir nicht repräsentiert waren, hat eine Vorlage verabschiedet. Wir haben ihr eine Fassung entgegengesetzt, die auf einer liberalen Auslegung beruht — die den Islam als Religion der Toleranz und Menschlichkeit begreift. Bis August 1990 sah es so aus, als hätte ich für eine Verabschiedung unserer Fassung die Nationalversammlung und auch das pakistanische Volk auf meiner Seite. Mit Hilfe ihrer Presse gelang es unglücklicherweise der IJI, den Präsidenten davon zu überzeugen, daß ich an Popularität verloren hätte.
Angesichts der massiven Korruptionsvorwürfe dürfte es Ihnen allerdings doch selbst schwer fallen, an Ihre Popularität zu glauben.
Die Kräfte, die gegen mich stehen, sind entschlossen und rücksichtslos. Man gewährt mir keine der Privilegien, die mir eigentlich zustehen. Am Abend meiner Entlassung standen die Möbelwagen vor der Türe und man hat uns die Kochtöpfe unter den Händen weggezogen. Man hat uns die Fahrzeuge beschlagnahmt, so daß wir Taxis nehmen mußten, um die Koffer für unsere persönlichen Dinge zu kaufen. Sie haben uns das Essen weggenommen, die Telefonleitungen gekappt. Am nächsten Tag habe ich mich besonnen und eine Maschine für den Flug nach Karachi gefordert, sonst hätte ich mich nicht mehr von der Stelle gerührt. In diesem Moment erst haben sie Zugeständnisse gemacht. Die Witwe Zias durfte immerhin vierzehn Monate in ihrer Residenz auf Regierungskosten verweilen, und das, obwohl ihr Ehemann ein Diktator war. Das ist der Unterschied zwischen uns und diesen Leuten.
Sie sind nicht nur die erste Premierministerin eines islamischen Landes, Sie haben nach der Geburt Ihres Sohnes auch noch eine Tochter zur Welt gebracht und es gibt Gerüchte über eine dritte Schwangerschaft. Wie lassen sich diese Pflichten vereinbaren?
Mutterschaft ist etwas großartiges. Die Tatsache, daß ich als Premierministerin eine Tochter geboren habe, dürfte demonstriert haben, daß ihre Mutterschaft nicht gegen Frauen verwendet werden darf, daß Frauen stark sind und in der Lage, ihrer täglichen Routine nachzugehen. Natürlich hatte ich das Glück, keine großen Schwierigkeiten, nur das morgendliche Unbehagen, zu haben; also konnte ich bis zur Geburt meiner Tochter auf öffentlichen Versammlungen reden. Mein Erfolg als Politikerin in einer traditionellen moslemischen Gesellschaft ist ein großer Erfolg für die Frauenbewegung, er wirkt als Rollenmodell für arbeitende Frauen.
Und dennoch gibt es von Seiten pakistanischer Frauenrechtlerinnen harsche Kritik, Sie hätten sich nur allzu bereitwillig in das Frauenbild der Mullahs gefügt.
Diese Frauen haben auch schon gegen meinen Vater opponiert. Ich weiß also nicht, ob es sich hier um rein feministische Kritik handelt. Ich denke, eine Frau ist dann unabhängig, wenn sie in der Lage ist, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen — es kommt ja nicht darauf an, Hosen zu tragen und Whisky zu trinken. Ich möchte demonstrieren, daß ich eine Muslimin mit einer Dupatta auf dem Kopf bin. Diesen Schleier habe ich übrigens immer schon getragen, und doch bin ich eine unabhängige Person. Ich will zeigen, daß muslimische Frauen keine Sklavinnen sind, daß sie ihre eigene Wahl treffen können.
Wie hat sich Ihr Ehemann auf Ihre politische Rolle eingestellt?
Er hat sich der Politik gestellt, er hat die Herausforderung angenommen. Er ist zur Zielscheibe gemacht und verleumdet worden, um mich nicht länger als Tochter meines Vaters Bhutto, sondern als Frau von Asif Zadari zu desavouieren. Nun heißt es, Benazir Bhutto arbeitet nicht mehr für ihren Vater, sondern für ihren Ehemann Zadari. Interview: Simone Lenz
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