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Zwischen Sampling und Sinfonie

CROSSOVER Dirigent André De Ridder schafft mit seinem Projekt Stargaze den Schulterschluss zwischen Klassik, Neuer Musik und Pop – beim XJazz-Festival arbeitet er mit HipHop- und Spoken-Word-Künstlern zusammen

„Klassische Musiker blicken oft herab auf Popmusik, als sei es unterkomplexe Musik“: André De Ridder Foto: F.: Stargaze

von Lorina Speder

Es ist selten, dass Dirigenten nicht nur sehr gut zwischen Musikern, sondern auch zwischen Musikstilen vermitteln können. André De Ridder, ein Ausnahmetalent am Dirigentenpult, schafft es wie kein anderer, Neue Musik, Pop, elektronische Musik und Klassik zu verbinden. Die Experimentierfreudigkeit des 1971 geborenen Musikers erhält internationale Aufmerksamkeit. Besonders seine Zusammenarbeit mit dem Sänger der Gorillaz, Damon Albarn – die Oper „Monkey: Journey to the West“ (2007) war ein Karrierehighlight. Es sollte aber nur der Anfang von vielen weiteren Kooperationen mit Musikern aus dem Pop und Rock Bereich sein. In den vergangenen Jahren widmete er sich vor allem seinem Projekt „Stargaze“, einem Orchesterkollektiv, dessen Debüt vor wenigen Jahren in der neuen Philharmonie de Paris stattfand und mit dem er nun auch während des XJazz Festivals in Berlin auftreten wird.

Die Selbstverständlichkeit, mit der De Ridder an Musik und deren Sprache herangeht, wird ihm quasi in die Wiege gelegt. Seine Eltern, Operndirigent und Opernsängerin, bringen ihn früh in den Kontakt mit Klassik. Bereits mit sieben Jahren bekommt er Klavierunterricht und wenig später Geigenstunden. Erst durch seine Klassenkameraden in der Schule bemerkt er, dass klassische Musik bei Weitem nicht in jedem Wohnzimmer gehört wird.

Deutschrock auf der Waldbühne

Ein Konzert auf der Waldbühne in den achtziger Jahren weckt aber auch seine Neugier für Rockmusik. Als 11-Jähriger sieht er dort den Deutschrocker Jocco Abendroth. Gegen Ende des Abends stehen die Leute auf den Sitzen und feiern ausgelassen. „Das war mein erstes Live-Erlebnis, welches auch physisch war und mich beeindruckt hat“, erinnert sich De Ridder im Gespräch. Durch Freunde lernt er anschließend die Musik von The Cure oder Echo & The Bunnymen kennen und bringt sich daraufhin autodidaktisch das Gitarrespielen bei. Neben dem Jugendorchester schließt er sich während seiner Zeit am Gymnasium auch der Schulband an.

Als musikalische Entdeckung beschreibt De Ridder heute noch die Erkenntnis, wie genau und komplex bestimmte Musiksprachen sind, die von der Allgemeinheit als einfacher angesehen werden. „Viele klassische Musiker gucken ein bisschen herunter auf Popmusik und glauben, dass es wahnsinnig simple und unterkomplexe Musik sein müsste“, erklärt er. Auch De Ridders Eltern hätten so eine Sichtweise, die er zu Hause immer wieder bekämpfen musste und muss. Die Strukturen und die Genauigkeit der Arbeit im Pop und in der elektronischen Musik fasziniert ihn. Für De Ridder gilt, dass sich die unterschiedlichen Musikstile nicht ausschließen, sondern der Clash bereichernd sein kann.

Sein Studium zum Tonmeister an der heutigen Universität der Künste hilft ihm dabei, den Prozess der Musikentstehung der verschiedenen Genres zu verstehen. Für ein anschließendes Dirigentenstudium zieht er nach Wien und beendet das Studium an der renommierten Londoner Royal Academy of Music. In England verbringt De Ridder sechs Jahre seines Lebens – die Offenheit gegenüber Musik zeigt sich bei ihm auch in Verbindung mit anderen Kulturen.

Mit Stargaze wird er beim XJazz in Berlin verschiedene HipHop-Künstler im Rahmen des Spoken-Word-Projekts „Spitting Chamber Music“ musikalisch unterstützen. Die Idee, HipHop mit hausgemachter Musik anstatt mit Samples zu unterlegen, ist durch Rapper wie Kendrick Lamar wieder im Kommen.

Dieses Projekt hat nun einen etwas anderen Ansatz: Die Stücke, die aufgeführt werden, wurden für die Show gemeinsam mit den Musikern entwickelt. „Wir sampeln und loopen, nutzen dabei Elemente der Klassik, Neuer Musik und auch Klassiker des HipHop. Das erlaubt natürlich auch Variationen und Improvisation“, beschreibt De Ridder das geplante Konzert. Das Orchester wird die zwei weiblichen Rapper Malikah aus Beirut und Inna Modja aus der malischen Hauptstadt Bamako begleiten und in der Musik auf den Sprachrhythmus der verschiedenen Künstler eingehen.

Bei der Frage, inwiefern auch Autoren beim Kollektiv mitwirken, denkt De Ridder kurz nach, um anschließend auf die Verbindungen von Literatur, Spoken Word und Musik einzugehen. Dass der Musiker in den großen Zusammenhängen denkt, macht seine Arbeitsweise aus. Er sieht dort Verbindungen, wo andere anfangen, zu kategorisieren und Vernetzungen zu ignorieren. Dass die Projekte De Ridders solchen Erfolg haben, zeigt aber, wie neugierig das Publikum doch ist. Inzwischen wurde sein Kollektiv Stargaze auch vom britischen Label „Transgressive Records“ gesignt. Man wird also auch in Zukunft sicherlich von De Ridder und seinem Kollektiv hören.

„Stargaze – Spitting Chamber Music u. a. mit Malikah & Käptn Peng“, im Rahmen des XJazz-Festivals, Sa., 23.15 Uhr, Emmauskirche, Kreuzberg | XJazz: noch bis 7. Mai, Info: www.xjazz.net

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