: Zwischen Hölle und Irrenhaus
Der absolute Beicht-Thriller: Antony Pages „Absolution“, mit Richard Burton, um 23.15 Uhr, RTL ■ Von Manfred Riepe
Der durch die Zweige sichtbare Himmelsausschnitt leuchtet blaßblau. Krähen sind zu hören. Ein leise anschwellender Ton suggeriert Bedrohung. Doch just in dem Moment, da dieses diffuse Bild über die Bewußtseinsschwelle drängt (— wir, das heißt die vor dem Fernseher, sind noch nicht recht bei der Sache, nerviges Sesselrücken, Gegrabsche nach dem Aschenbecher) —, werden wir bereits von einem vorbeituckernden Motorradhippie in die Wirklichkeit zurückgerissen. Orchestrierte irische Folklore ist zu hören, passend zu den satten grünen Wiesen. Das musikalische Grundthema. Die marginale Ouvertüre wirkt so aberwitzig, daß man gut zehnmal hintereinander zurückspulen könnte. Selten vermittelt ein Film schon von der ersten Einstellung an dieses Erwartung schürende Gefühl handwerklich- atmosphärischer Stimmigkeit, das über die gesamte Distanz erhalten bleibt.
Auf dem Rasen vor dem vikorianischen Bau eines katholischen Klosterinternats wirkt die Figur Pater Goddards (Richard Burton) schon optisch wie die Verkörperung von Strenge und Gesetz. Als unser Motorradhippie den Geistlichen entspannt blasphemisch mit „Hey Dad“ anquatscht und nach einem Job fragt, spüren wir bereits in der formal eisigen Absage Goddards, daß sich da fürchterliche Dinge zusammenbrauen werden.
Im Internatsalltag hat der gehbehinderte Arthur Dyson (Dai Bradley) einen schweren Stand. Goddard mag den vorwitzigen Naseweis nicht, der sich im Lateinunterricht eher für Julius Cäsars Kampftaktiken, statt für die Grammatik interessiert. Mit zynischen Maßregelungen hält Goddard nicht hinterm Berg. Allein Richard Burtons Ausbrüche kultivierten Zynismus' sind es wert, den Fernseher anzuschalten.
Was dem aufrichtigen Arthur verwährt bleibt, kommt dem Frömmigkeit nur heuchelnden Musterschüler Benji Stanfield (Domninic Guard) zu. Benji ist ein glatter Schleimer, der seinem „spirutual adviser“ auch nach dem Unterricht in Privatsitzungen große Augen macht, wenn dieser in morbiden Shakespeare-Zitaten schwelgt. Zu dumm, daß Arthur im ungünstigsten Augenblick hereinplatzt und nach etwas so Profanem fragt wie der Erlaubnis, das Fußballhalbfinale schauen zu dürfen.
Als Goddard herausbekommt, daß sein Lieblingsschüler sich mit dem jointrauchenden Hippie angefreundet hat, der im nahegelegenen Wäldchen campiert und die Dinge von einer etwas weltlicheren Seite betrachtet, rastet der Geistliche aus. Die herbeigerufenen Ortspolizisten sind keine Kostverächter und geben dem Zottel ordentlich auf die Mütze. Verständlich, daß dieser über Benjis vermeintliche Unloyalität sauer ist und ihn zum Teufel schickt...
Die aus Rache abgelegte Beichte Benjis bildet den Ausgangspunkt eines Intrigennetzes, wie es Hitchcock nicht präziser hätte weben können. Der ans Schweigegelübde gebundene Goddard ist gezwungen, einem (vermeintlichen?) Mörder die Beichte abzunehmen und ihm — darum der Titel — die Absolution zu erteilen.
Mit mathematischem Kalkül wird der unnahbare Gottesmann innerhalb des von ihm selbst definierten Handlungsspielraumes so zu einer Tat getrieben, in deren Konsequenz ihm nur noch die Wahl bleibt zwischen der Hölle und dem Irrenhaus. Eine der letzten Glanzrollen für den 1984 verstorbenen Richard Burton, der die feinen Schattierungen zwischen kalter Autorität und aufkeimendem Wahn souverän umsetzt.
Der englische Bühnen- und Filmregisseur Antony Page gilt gemeinhin als Filmer im Mittelfeld, der mit effektheischendem Starkino auf plumpe Publikumswirksamkeit abzielt (Ich habe dir nie einen Rosengarten versprochen mit Bibbi Anderson; Tödliche Botschaft mit Elliot Gould oder Geschlechtsumwandlung mit Vanessa Redgrave, die Geschichte der Navratilova-Lebensgefährtin).
Absolution von 1978, der seit zwei Jahren als Videopremiere verschimmelt und faktisch nirgendwo auftaucht, ist jedoch ein humorvoller, visuell faszinierender, mit leichter Hand inszenierter Beichtthriller.
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