: „Zwischen Hammer und Amboss“
Sameer Khalil ist staatenloser Palästinenser und lebt seit 21 Jahren in Hamburg. Die Ausländerbehörde will ihn nach Jordanien abschieben: Das Land hatte ihm 1981 Ausreisepapiere ausgestellt. Anwältin: „Quantensprung in der Abschiebepraxis“
von SANDRA WILSDORF
Sameer Khalil hat sein halbes Leben in Deutschland verbracht: Seit 21 Jahren lebt der Palästinenser aus Nablus hier. Er kann nicht zurück. Zum einen, weil momentan niemand nach Nablus kommt, denn im Westjordanland ist Krieg. Zum anderen, weil die israelischen Behörden ihm wegen der langen Abwesenheit 1988 das Rückkehrrecht versagten. Seitdem ist der 42-Jährige staatenlos. Die Hamburger Ausländerbehörde will ihn trotzdem abschieben – nach Jordanien. Das Land hatte Khalil 1981 Ausreisepapiere ausgestellt.
Dabei hatte der Palästinenser im vergangenen Jahr gute Aussichten auf ein dauerhaftes Bleiberecht. Juristen der mittlerweile geschassten Ausländerbeauftragten Ursula Neumann hatten erfolgreich mit der Ausländerbehörde verhandelt. Aber diese untersteht jetzt Ronald Schill: Im April dieses Jahres wird Khalil in Abschiebehaft genommen, als er bei der Behörde seine Duldung verlängern will. Ziel der geplanten Abschiebung: Jordanien.
Der jordanische Pass berechtigt Khalil allerdings nicht zur Wiedereinreise und ist außerdem seit 17 Jahren abgelaufen. „Es ist völlig klar, Jordanien nimmt keine Palästinenser auf“, sagt Rechtsanwältin Sigrid Töpfer. Ein Mitarbeiter der Hamburger Ausländerbehörde behauptet jedoch, es gebe eine entsprechende Absprache der deutschen Botschaft in Amman mit den jordanischen Behörden. Bis heute hat die Behörde Khalil dafür keinen Beleg geliefert. Stattdessen liegt seinen Anwälten eine Erklärung der jordanischen Botschaft in Berlin vor, dass man Khalils Einreise nicht zugestimmt habe, da er Palästinenser sei. Auch den Antrag der Hamburger Ausländerbehörde, ihm einen Pass auszustellen, lehnte die Botschaft ab.
Wegen einer erfolgreichen Beschwerde vor dem Oberlandesgericht wird Khalil am 8. Mai zumindest aus der Haft entlassen, die Abschiebung droht weiterhin. Sigrid Töpfer und ihr Kollege Mark Nerlinger schalten den Petitionsauschuss der Bürgerschaft ein. Sie wollen ein dauerhaftes Bleiberecht für Khalil. Doch die Abgeordneten lehnen das Ersuchen ab. Sie beziehen sich dabei auf das Gerichtsurteil, das 1999 die Ablehnung von Khalils Asylantrag bekräftigte. In Jordanien, so hatte der Richter argumentiert, würde es Khalil doch bei seiner Familie viel besser gehen, und auch das Wetter dort sei seiner Gesundheit zuträglicher. Khalil hat in Jordanien keine Familie.
Die Abschiebung wird auf den 15. Mai terminiert. Khalil kommt wie bestellt zum Flughafen. Aber sieben Minuten vor der geplanten Abflugzeit erklärt Turkish Airlines, ihn nicht mitnehmen zu wollen. „Die Behörde sagt, der Pilot habe sich geweigert. Wir vermuten, dass die Papiere nicht vorlagen, in denen jordanische Behörden bestätigen, ihn aufzunehmen. Turkish Airlines hätte ihn dann wieder zurückbringen müssen“, sagt Nerlinger.
Die ungewisse Zukunft, das Leben abhängig von der Sozialhilfe, die Familie unerreichbar: Khalil ist seit Jahren wegen Depressionen und Sprachstörungen in ärztlicher Behandlung. Sein Studium schaffte er nicht mehr und wurde exmatrikuliert. Momentan lebt er in einem Zimmer im Univiertel und sagt: „Ich fühle mich wie zwischen Hammer und Amboss.“
Die Ausländerbehörde versucht es nun weiter: „Es läuft ein Antrag an die jordanische Botschaft bezüglich eines entsprechenden Heimreisedokumentes“, sagt Pressesprecher Norbert Smekal. Die mündliche Zusage habe ja nicht gereicht.
Für die Anwältin Sigrid Töpfer ist der Fall von Sameer Khalil ein „politischer Quantensprung in der Hamburger Abschiebepraxis“. Seit 15 Jahren vertrete sie Palästinenser, noch nie sei einer von ihnen abgeschoben worden. „Es ist die reine Barbarei, das physische Überleben eines Menschen interessiert nicht.“ Töpfer hat Strafantrag gegen den zuständigen Behördenmitarbeiter gestellt: Wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung.
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