: Zwischen 1,7 Prozent und Rezession
Immer mehr Wirtschaftsinstitute senken ihre Wachstumsprognosen. DIW-Chef Zimmermann warnt gar schon vor einer Rezession. Die Bundesregierung aber verbittet sich jede Form von Aktionismus und will erst einmal abwarten
von BEATE WILLMS
Die Prognose war noch gar nicht fertig. Trotzdem wunderte es niemanden, als Paul Klemmer, Chef des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), gestern schon mal mit einem dürftigen Zwischenstand vor die Presse trat. Klemmer erklärte, auch sein Institut korrigiere die Vorhersage für das Wirtschaftswachstum. Natürlich nach unten. Statt um die im Februar vorhergesagten 2,8 Prozent werde das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr nur um rund 1,7 Prozent steigen. Wer jetzt Genaueres wissen will, soll sich an den gerade veröffentlichten Daten des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs orientieren. Vorgestellt wird das RWI-Gutachten nämlich erst in der nächsten Woche. Klemmer: „Unsere Prognose wird in etwa gleichauf mit der Hamburger sein“.
Um jetzt in die öffentliche Diskussion eingreifen zu können, verzichtet das RWI damit auf eine eigene solide Datengrundlage. Dies zeigt, wie sehr das Thema Konjunktur die Wirtschaftsforscher derzeit beschäftigt. Auch andere Institute und Banken haben ihre Prognosen vom Frühjahr unter die Zwei-Prozent-Marke abgesenkt. Am radikalsten das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), das nur noch ein 1,3-prozentiges Wachstum sieht. Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW), warnte gestern gar schon vor einer Rezession – also einem Negativwachstum in zwei aufeinander folgenden Quartalen. Oppositionspolitiker brachten den Begriff der Stagflation ins Spiel: Bei einem Nullwachstum, hoher Arbeitslosigkeit und – meist ölpreisbedingter – hoher Inflation steckt die Geldpolitik in einer Falle. Versucht sie es mit einer Lockerung der Zinsen, kurbelt sie die Wirtschaft an und treibt gleichzeitig die Preise. Wählt sie den anderen Weg – betreibt also eine restriktive Geldpolitik –, senkt sie die Inflation, drängt aber die Wirtschaft in die Rezession. Nicht nur Wirtschaftsforscher, FDP oder CDU, auch Regierungspolitiker wie die Grünen-Finanzexpertin Christine Scheel forderten Programme zur Belebung der Konjunktur.
Die Bundesregierung dagegen verbittet sich „den Ruf nach hektischem Aktionismus“. Finanzminister Hans Eichel sagte, auch ein Wachstum von 1,3 Prozent sei „keine Katastrophe“. Die Einschätzung von Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos), der ein „Nullwachstum“ im zweiten Quartal für möglich gehalten hatte, könne er nicht teilen. Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye verbreitete sogar: „Für die Regierung bleibt es dabei: Wir hoffen auf zwei Prozent.“
Dass Konjunkturprognosen im Verlauf eines Jahres immer wieder nachkorrigiert werden, ist nicht ungewöhnlich. Viele Daten werden von den Statistiken nicht erfasst und müssen mit Erfahrungswerten ergänzt werden. Zudem arbeiten die Konjunkturforscher mit feststehenden Annahmen, um die Komplexität des Themas einzugrenzen. So waren die Institute in ihrem Frühjahrsgutachten, das noch ein Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent gesehen hatte, davon ausgegangen, dass sich der Boom in den USA deutlich, aber sanft dem Ende neigt, der Rohölpreis bei 25 US-Dollar verharrt, der Euro leicht steigt, die Europäische Zentralbank die Leitzinsen um 0,5 Basispunkte senkt. Die Entwicklung in den USA hat sich als schwankender herausgestellt, der Rohölpreis liegt um gut ein Sechstel höher, und die Zinssenkung war nur halb so groß.
Trotzdem sei eine Abweichung in der Höhe bedenklich, hieß es gestern. „Normal“ seien bis 15 Prozent Spielraum. „Jetzt hängt vieles davon ab, wie es im zweiten Halbjahr weitergeht“, sagte DIW-Chef Zimmermann. Eine Krise ausschließen könne er jedenfalls nicht mehr.
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