Zweite Bundesliga: Ein Favorit, den nicht alle auf dem Zettel hatten
Hannover 96 spielt an der Spitze der Zweiten Liga. Laut einem Dreijahresplan müsste im Sommer der Aufstieg klappen. Der Sportdirektor bleibt gelassen.
Eine Länderspielpause birgt für viele Klubangestellte gewisse Vorteile. Marcus Mann, Sportdirektor bei Hannover 96, nutzte die Zeit, einmal mit seiner Familie abzuschalten. Aktuell steht sein Arbeitgeber als Spitzenreiter der 2. Bundesliga bestens da. Hertha BSC und Schalke 04, der 1. FC Köln und Hamburger SV stehen oft im Fokus, aber die Sehnsucht nach der Bundesliga ist in der niedersächsischen Landeshauptstadt nicht viel geringer. Von 2002 bis 2019 spielte 96 mit einer Ausnahme immer erstklassig, nun gehört der Klub im sechsten Jahr dem Sammelbecken der Traditionsvereine an.
„Mindestens acht andere Vereine behaupten auch, dass sie auf Dauer ein Bundesligist sein müssen“, sagt Mann. „Wir bekommen in Elversberg nicht den roten Teppich ausgerollt, weil wir vor mehr als zehn Jahren mal Europa League gespielt haben.“ Das Beispiel des Provinzklubs aus dem Saarland passt deshalb gut, weil die „Roten“ dort zuletzt ihre schlechteste Saisonleistung (1:3) ablieferten. Tabellenführer blieb man trotzdem. Der 40-Jährige verortet seinen Arbeitgeber in der Etattabelle zwischen Platz fünf und neun. Jedes Jahr habe man das Lizenzspielerbudget ein „bisschen zurückgeschraubt“, aktuell fließen rund 15 Millionen Euro in Mannschaft, Trainerstab, Staff und Scouting.
Im Sommer 2022 hat Mann den Trainer Stefan Leitl an die Leine gelotst, um eine Mannschaft aufzubauen, die binnen eines Dreijahresplans aufsteigen soll. Nach Platz zehn und sechs in den beiden vergangenen Spielzeiten lastet insofern ein gewisser Druck auf dem Coach, der 2021 mit SpVgg Greuther Fürth aufstieg und mit seinem fußballerischen Ansatz überzeugte. Dass der 96-Sportchef die Ziele aktuell etwas offensiver formuliert als der Cheftrainer, muss keinen Dissens bedeuten. „Hier hat keiner die Erwartung, dass wir durch die Liga marschieren, aber wir müssen das Maximale wollen“, erklärt Mann. Aus seiner Sicht schenken sich die Top acht gerade nicht viel.
Ein Spitzenteam ist Hannover bislang nur zu Hause: sechs Heimspiele, sechs Siege. Nun kommt der SV Darmstadt 98 (Samstag 13.30 Uhr). Auch Mann findet, dass die Lilien unter Florian Kohfeldt aufgeblüht sind. „Gefühlt schießen sie aktuell in jedem Spiel vier Tore.“ Er spielte 2006/2007 selbst bei den Südhessen. „Es war wahrscheinlich das wichtigste Jahr in meiner aktiven Zeit“, erinnert sich der frühere Stürmer. „Ich habe erst dort gelernt, wie Profifußball funktioniert.“ Nämlich auch als junger Spieler mal die Ellbogen ausfahren.
Mehr Jugend, ein paar Routiniers
Heute setzt er bei der Kaderzusammenstellung gerne auf die Jugend. Sein Credo: „Weniger Profis holen, die aus der Bundesliga kommen, dafür mehr, die in die Bundesliga wollen.“ Zumal die Nachwuchsabteilung für Zweitliga-Verhältnisse nicht wenig kostet. Die U23 spielt in der 3. Liga. Vergangenen Winter wechselte Derrick Köhn (jetzt Werder Bremen) zu Galatasaray Istanbul, im Sommer ging Bright Arrey-Mbi zu Sporting Braga. In der Summe mehr als zehn Millionen Euro brachten die Verkäufe ein. Der talentierte Angreifer Nicolò Tresoldi könnte der nächste größere Transfer werden.
Marcus Mann, Sportdirektor Hannover 96
In der Abwehr haben zwei prominente Routiniers das Sagen: Ron-Robert Zieler, 35, dritter Torwart bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien, und Marcel Halstenberg, 33, der zwischen 2017 und 2021 neun Länderspiele machte, gehören zu den absoluten Konstanten. Ihre (familiäre) Bindung zur Region ist verbürgt. Doch dummerweise laufen auch die Verträge mit beiden Führungspersönlichkeiten aus, wenn im Sommer insgesamt elf Arbeitspapiere enden.
Viel Arbeit für den Sportdirektor. Geht der Traum von der Bundesliga in Erfüllung, lösen sich viele Probleme. Klappt es nicht, wird die Wirklichkeit eine Herausforderung. „Wir lassen zu viele PS auf der Straße liegen, und da spielt die ungeklärte Situation im Umfeld auch eine Rolle“, merkt Mann an, der an dieser Stelle genau abwägt, was er sagt. „Es kann kein Zustand auf Dauer sein, dass wir uns damit in unserer Handlungsfähigkeit einschränken.“ Zum Hintergrund: Im Sommer 2022 setzte die Vereinsführung den Profifußball-Boss Martin Kind ab. Inzwischen liegt der Fall beim Bundesgerichtshof (BGH). Der Ausgang des Verfahrens um den 80 Jahre alten Hörgeräteunternehmer besitzt große Tragweite für die 50+1-Regel.
Die Dauerfehde zwischen der Kapitalseite und dem Mutterverein ist keineswegs ausgestanden. Mann kann sich nur schwer damit abfinden, dass auch nach der Absetzung des langjährigen Strippenziehers und Geldbeschaffers Kind ständig noch Querschüsse seine Arbeit erschweren. Aktuell ist Mann in dem schwer durchschaubaren Konstrukt der einzige, der Prokura für die KGaA besitzt. Eine Prognose, wohin Hannover 96 steuert, ist aktuell nahezu unmöglich. Es zeichnet sich nur ab, dass die Zeit zum Durchschnaufen eher weniger wird. Und die nächste Länderspielpause ist erst in vier Monaten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“
Koalitionsvertrag in Brandenburg steht
Denkbar knappste Mehrheit