Zweifel an Bioware: Ob du wirklich bio kaust…
Eine Schlachtfirma soll Hühnerfleisch fälschlicherweise als bio deklariert haben. Wieder einmal bemerkten die Öko-Kontrolleure nichts.
Bei der Schlachtfirma Oberschwäbische Geflügel GmbH wissen sie, was VerbraucherInnen wollen. „Bio: Die tierfreundlichste Hähnchenproduktion“ – mit diesem Slogan warb das Unternehmen aus dem baden-württembergischen Ort Ertingen auf seiner Internetseite. Die Schlachterei bekomme ihre Tiere von Höfen, die den Hühnern „Auslauf ins Freie“ und „deutlich mehr Platz“ im Stall einräumten als konventionelle Betriebe.
Das Fleisch landete zum Beispiel bei den Ökosupermarktketten denns und Alnatura. Für Biohähnchenbrust zahlen die KonsumentInnen typischerweise mehr als das Doppelte als für konventionelle.
Doch ob sie dafür wirklich Bioware bekommen, daran hat die Staatsanwaltschaft Landshut so große Zweifel, dass sie den Schlachtbetrieb und seine bayerische Muttergesellschaft sowie die Wohnungen mehrerer Tatverdächtiger vor Kurzem von rund 150 Polizisten durchsuchen ließ. „Zeitgleich fanden in ganz Bayern, Hessen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen Durchsuchungen in Geschäftsräumen von anderweitig beteiligten Unternehmen statt“, teilte die Staatsanwaltschaft mit.
Fünf Verantwortliche der Unternehmen sollen seit Anfang 2018 konventionelles Hähnchenfleisch mit dem Herkunftszeichen „Geprüfte Qualität Bayern“, dem amtlichen Bio-Siegel und der Marke des Ökoverbands Naturland ausgezeichnet haben. „Weiter bestehe der Verdacht, dass aufgetaute Hähnchen fälschlicherweise als Frischware etikettiert veräußert worden sein sollen“, so die Ermittler.
Kontrolle bleibt ergebnislos
Der Verdacht: gewerbsmäßiger Betrug und Verstöße gegen das Lebensmittelrecht. Bioland, Biokreis, Demeter und Naturland haben daraufhin den beiden Unternehmen verboten, weiterhin Ware mit den Marken der Ökoverbände zu vermarkten. Die Oberschwäbische Geflügel GmbH war dem Branchenportal BioHandel zufolge bis jetzt einer der wichtigsten Geflügelschlachter für Ware der Bioverbände südlich der Donau.
Die beschuldigten Unternehmen wiesen in einer Stellungnahme die „verlautbarten Vorwürfe vollumfänglich und mit Nachdruck zurück“. Bei den Kontrollen habe es zu „keinem Zeitpunkt Auffälligkeiten oder relevante Beanstandungen“ gegeben.
Spezielle KontrolleurInnen müssen jeden Ökobetrieb in Deutschland mindestens einmal im Jahr überprüfen. Doch sie haben den Fall nicht ins Rollen gebracht, sondern eine „Anzeige, die Mitte des Jahres 2022 bei der Staatsanwaltschaft Landshut anonym eingegangen war“, so die Behörde.
„Wir haben im Rahmen der Hausdurchsuchung unter Leitung der Staatsanwaltschaft Landshut am 16. 11. 2022 erstmals von den Vorwürfen gegen die genannte Firma gehört“, schrieb die Sprecherin von Ecocert Deutschland der taz. Das ist die Kontrollstelle, die der oberschwäbischen Geflügelschlachterei das Biosiegel gegeben hat. Die Kontrollstelle Lacon, die das Mutterunternehmen zertifiziert hat, wich der Frage aus, wann es von den Vorwürfen erfahren hat.
Auch frühere Bioskandale wurden nicht von den in erster Linie zuständigen Kontrollstellen aufgedeckt. Durch die Lappen ging ihnen zum Beispiel der Fall eines Bioschweinehalters aus dem niedersächsischen Dorf Zargleben, der laut Staatsanwaltschaft seinen Sauen im Ökolandbau verbotene Hormone gegeben hatte. Die Behörde hat nach eigenen Angaben inzwischen einen Strafbefehl gegen ihn beantragt. Der Landwirt war mit jährlich rund 7.000 gemästeten Tieren ein wichtiger Player in der Branche.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Sogar einer der größten Ökoskandale in Deutschland wurde nicht von der Kontrollstelle, sondern einem Richter in einem Rechtsstreit zwischen einem beteiligten Landwirt und dessen Legehennenlieferanten entdeckt: Über 100 vor allem niedersächsische Legehennenbetriebe hatten mehr Tiere als erlaubt in ihren Ställen untergebracht.
Eine andere Kontrollstelle schaffte es laut Landgericht Schwerin erst nach sieben Jahren, einem Bauern in Mecklenburg-Vorpommern auf die Spur zu kommen, der seinen „Bioschweinen“ konventionelles Futter gab. Durch den Verkauf von rund 6.500 Tieren nahm er knapp 900.000 Euro mehr ein, als konventionelle Schweine eingebracht hätten, stellte das Gericht 2021 fest.
Einen anderen im September 2021 vom selben Gericht verurteilten Biobetrüger deckte ebenfalls nicht die Ökokontrolle, sondern eine zunächst anonyme Anzeige bei der Polizei auf. Der Landwirt hatte über zwei Jahre rund 8.500 konventionelle Schweine gekauft und sie als Biotiere weiterverkauft.
Ecocert ist ein privates Unternehmen, wie alle 19 von den Behörden zugelassenen Biokontrollstellen in Deutschland. Bezahlt werden sie von denjenigen, die sie kontrollieren sollen: den Bauern und Firmen, die mit dem Biosiegel werben. Die Kunden dürfen ihre Kontrollstelle selbst auswählen – und auch wechseln. So können die Kontrollierten Druck auf die Inspekteure ausüben. Die größte Kontrollstelle, Abcert, bestätigte der taz 2021 sogar, dass sie Kontrolleure auswechsele, wenn der Betrieb darum bittet.
Das von den Grünen geführte Bundesagrarministerium sieht dennoch keinen Reformbedarf. Den Behörden stehe ein „ausdifferenziertes Instrumentarium zur Verfügung“, um Fehlverhalten zu sanktionieren, schrieb eine Ministeriumssprecherin der taz. Ähnlich sieht das der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Bisher handele es sich im aktuellen Fall nur um einen Verdacht, antwortete der Branchenverband auf die Frage, ob das System reformiert werden müsse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“