: Zweierlei Abtreibungsgesetz?
■ Möglicherweise wird nach dem Anschluß die Fristenlösung in der DDR vorläufig beibehalten / BRD-Regierungsentwurf für DDR-Strafrechtsreform sieht vorübergehend „Doppelstrategie“ vor
Berlin (dpa/taz) - Im neuen Deutschland wird es möglicherweise zunächst doch zweierlei Abtreibungsgesetze geben. Dies behauptete gestern zumindest 'Bild am Sonntag‘. Demnach soll auf dem Gebiet der DDR weiterhin die Fristenlösung gelten, während in der BRD die Abtreibung nach wie vor nach Paragraph 218 geregelt bleibt. Erst ein gesamtdeutsches Parlament könne diesen Zustand ändern, heißt es in dem Springer-Blatt. Die Zeitung beruft sich auf einen vertraulichen Entwurf der Bundesregierung für eine DDR -Strafrechtsreform. Darin werde auf eine Neuregelung der Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen verzichtet.
Auch DDR-Justizminister Kurt Wünsche hält zweierlei Strafrecht unter einer gemeinsamen Verfassung in einer Übergangszeit für möglich. Gegenüber dem 'Spiegel‘ bekräftigte er die Absicht seiner Regierung, sich für die Beibehaltung der Fristenlösung auch nach der deutschen Vereinigung einzusetzen. Er setze dabei auf „die Frauen in Ost und West“, sagte Wünsche. Es sollte überlegt werden, das Recht der Frauen auf eine selbstbestimmte Schwangerschaft in einer zukünftigen gemeinsamen Verfassung festzuschreiben, so der DDR-Justizminister.
Bundesjustizminister Hans Engelhard (FDP) hingegen verwies in einem Gespräch mit 'Bild am Sonntag‘ darauf, daß eine Fristenlösung in der BRD laut Bundesverfassungsgericht verfassungswidrig sei. „Das heißt konkret: Eine Fristenregelung, wie sie derzeit in der DDR gilt, könnten wir - selbst wenn wir es wollten - für unseren Teil Deutschlands nicht übernehmen“, sagte Engelhard. Nur der künftige gesamtdeutsche Gesetzgeber sei legitimiert, diesen Konflikt zwischen der BRD und der DDR zu lösen.
Einen „unhaltbaren, unwürdigen und gefährlichen Abtreibungstourismus“ für die Übergangszeit bis zu einer gesamtdeutschen Regelung befürchtet Ingeborg Retzlaff, Vorsitzende des Deutschen Ärztinnenbundes. Sie geht davon aus, daß von den 15.000 arbeitslosen Medizinern in der BRD etliche nach der Währungsunion in die DDR gehen und dort Abtreibungspraxen eröffnen werden.
uhe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen