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nebensachen aus dem mittleren westen der usaZwei Süchtige unterwegs nach Las Vegas

Im weiten Niemandsland der Kaffeekultur

Ich ahnte, dass wir uns ins Niemandsland der Kaffeekultur begeben würden. Eine Woche quälende Ungewissheit. Würden wir unterwegs unsere tägliche Ration Koffein kriegen? Nicht irgendeinen Filterkram, sondern belebenden Genuss. Paul hatte vorsichtshalber seine Camping-Espressomaschine eingepackt. Wenn ich bis mittags keinen anständigen Kaffee bekomme, kann ich ziemlich ungemütlich werden. In fünf Tagen wollten wir in Las Vegas sein. Da braucht die müde Seele gelegentlich etwas zum Aufputschen.

In Amerika hat guter Kaffee einen Namen: Starbucks. Im Drei-Meilen-Radius um meine Wohnung gibt es allein zehn Läden. Das reicht. Weltweit besitzt Starbucks mittlerweile 4.700 Läden. Nur nicht im Mittleren Westen der USA. Die totale Kaffeewüste. Aber das sollte ich erst später erfahren.

Erster Stopp unserer Tour: Rural Retreat im Westen Virginias, was so viel heißt wie ländliche Zuflucht. Nur leider nicht für uns. In der Tankstelle, die Kneipe, Supermarkt und Sozialstation vereint, gab es eine nie gesehene Fülle von Zigaretten und Zigarren. Klar, wir waren im Tabakland, aber ich bin nun mal nicht nikotinsüchtig. Auf einer Heizplatte stand, wahrscheinlich seit Stunden, eine Kanne mit schwarzer Flüssigkeit: nicht genießbar. Dabei passt zu einer guten Zigarette prima ein guter Espresso …

Hinter den Appalachen bis zu den Rockies herrscht eben nach wie vor die Diktatur einer Kultur, die ein undefinierbares Getränk mit Namen Kaffee in Halbliterbechern aus Plastik ausschenkt und ungefragt nachfüllt. Nach der Enttäuschung in Virginia hofften wir sehnsüchtig auf Nashville und Memphis. Es gab Kaffee, ihn anständig zu nennen wäre übertrieben. Außerdem kein Starbucks.

Als wir bei einer Pause am Auto lehnten, den dünnen Kaffee aus dem Styropor-Becher schlürften, schlenderte ein Mann vorbei, der wie ein Waldschrat aussah. Sein Blick viel auf unser Nummernschild aus Washington. „Immer noch zu viele verdammte Linke dort“, knurrte er. Wie gut, dass es manchmal kein Starbucks gibt, dann wäre uns dieser Hinweis entgangen. Dort sind vor allem Akademiker und Studenten Kunden, potenzielle Linke eben.

Die Erlösung kam, wer hätte das gedacht, in Santa Fe. Das liegt im staubigen New Mexico, wo man sich früher um 12 Uhr mittags gern zum Duell vor dem Saloon verabredete. Genau dort befindet sich der örtliche Starbucks-Laden. Um ehrlich zu sein, hat auch Starbucks einen Haken. Europäische Trinksitten lassen sich nicht so ohne weiteres auf Amerika übertragen. Klein und fein verkauft sich hier schlecht. Die Pappbecher sind „groß“, „sehr groß“ und „super groß“, womit wir wieder bei dem halben Liter wären. Zudem lieben es die Amerikaner, verschiedene Sirupsorten in den Kaffee zu mischen und so ihren gerade gewonnenen Anschluss an die Kaffeezivilisation wieder zu verspielen.

Zum Schluss muss erwähnt werden, dass die Campingmaschine noch zum Einsatz kam. In der richtigen Wüste. Kurz vor Las Vegas. Wo wir schließlich nach unserer Ankunft keine Mühe scheuten und eine Stunde suchten, bis wir fündig wurden. Wonach – Sie ahnen es.MICHAEL STRECK

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