■ In Belgien wurde eine Lottoziehung nach Stunden annulliert: Zwei Lottokugeln im Stau
Brüssel (taz) – Es sieht ziemlich schlecht aus für die acht belgischen Lottomillionäre, die am Samstag um halb acht ein Faß aufmachten und knapp zwei Stunden später erfuhren, daß sie die Zeche nun leider doch aus der eigenen Tasche bezahlen müssen. Die staatliche Lottogesellschaft will die Gewinne von jeweils knapp sechs Millionen belgischen Francs, das entspricht rund 300.000 Mark, nicht herausrücken. Die acht Leute hatten absolut nichts falsch gemacht: Sie hatten die richtigen Zahlen getippt, sie hatten sogar ihre Tipscheine abgegeben, und sie hatten auch vorm Fernseher keine groben Fehler beim Zuschauen gemacht. Sie hatten lediglich übersehen, daß im Fernsehstudio nur 40 Kugeln in der Lottotrommel herumwirbelten, obwohl doch 42 vorgeschrieben sind. Das Glück kann manchmal hundsgemein sein.
Ihr Protest gegen die Annullierung der Ziehung hat zwar nicht allzu viele Gewinnchancen, schon weil die ganze Übung noch am selben Abend wiederholt und neue Glückliche ermittelt wurden und weil auch die belgische Glücksritterei nicht auf den Zusatz „ohne Gewähr“ verzichtet, er wirft aber zumindest ein paar interessante Fragen auf. Zum Beispiel die, wann eine Auslosung zu Ende ist und ob die Wirklichkeit erst wahr ist, wenn sie im Fernsehen ausgestrahlt wird.
Der Artikel 30 der königlichen Vorschriften für den Ablauf der nationalen belgischen Lotterie sieht vor, daß der anwesende Notar jeden möglichen Zwischenfall an Ort und Stelle regelt. Doch an Ort und Stelle hat der Notar keinen Zwischenfall bemerkt. Alles in Ordnung, notierte Philippe Leclercq gewissenhaft und fuhr nach Hause, um sich wie jeden Samstag im Fernsehen die Ziehung der Lottozahlen anzuschauen. In Belgien wird die Lottoziehung zeitversetzt um eine Stunde später gesendet, vermutlich, um in der Zwischenzeit verpatzte Versuche zu wiederholen.
Aber was Leclercq live übersehen hat, sprang ihm nun ins Auge: Kugel Nr. 41 und Kugel Nr. 42 waren im gläsernen Zufahrtsröhrchen zur Trommel steckengeblieben. Er alarmierte sofort den Lottochef, der, anstatt die Fernsehzuschauer über das Malheur aufzuklären, erst mal tat, was ratlose Chefs halt so tun: Er setzte für 21 Uhr eine Krisensitzung an. Ob er zu diesem Zeitpunkt noch daran dachte, den Irrtum einfach unterm Deckel zu halten, ist nicht überliefert. Inzwischen hatte jedenfalls auch eine Reihe aufmerksamer Zuschauer angerufen. Am späten Abend wurde die Ziehung dann wiederholt.
Ganz so einfach geht's natürlich auch nicht. Seit Tagen diskutieren nun Juristen und Wettfreunde die Konsequenzen aus dem Glücksdebakel. Die Ex-Hauptgewinner wollen sich mit dem flüchtigen Glück nicht abfinden und haben gerichtliche Schritte angekündigt. Ein belgischer Verbraucherschützer schätzt, daß sie zumindest Chancen auf Schadenersatz für die Zeche haben, die sie im Freudentaumel während der Zeit zwischen Sieg und Niederlage angerichtet haben. Dazu kommen noch eine Reihe von schwer entscheidbaren Zweifelsfällen. Was passiert mit den echten Gewinnern aus der zweiten Ziehung, die ihr Glück nicht mehr fassen können, weil sie es nach der ersten Ziehung schon zerrissen, verbrannt, ins Klo geworfen und hinuntergespült haben? Wer hebt denn schließlich schon Nieten auf?
Die Lottogesellschaft fürchtet jetzt nicht nur um ihren Ruf, sondern auch um ihre leidenschaftlichen Kunden. Nach reiflicher Überlegung hat sie nun versichert, sie werde in diesem Fall sehr großzügig mit zerknüllten, zerfetzten oder angebissenen Wettscheinen umgehen. Alois Berger
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