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Zum Fall Rushdie

■ betr.: "Wo die Lampe fußt" (Einige Überlegungen zur Rushdie-Affäre anläßlich eines gerade erschienenen Buches) von Elke Schmitter, taz vom 4.4.92

betr.: „Wo die Lampe fußt“ (Einige Überlegungen zur Rushdie- Affäre anläßlich eines gerade erschienenen Buches) von Elke Schmitter, taz vom 4.4.92

Als „Rushdie-Abonnentin“, die sich inzwischen längst aus verschiedensten Gründen auf die tägliche taz freut, bin ich sehr bestürzt, daß Websters schlimmes Buch in Elke Schmitters Artikel so wohlwollendernsthaft gewürdigt wurde. Während zunächst die liberale Presse und die gesamte intellektuelle Szene in England für Rushdie eintraten, haben die Bestsellerautoren Roald Dahl und John Le Carré sich sofort zu Verteidigern der „beleidigten Religion“ ernannt und Stellung gegen Rushdie bezogen. Sie standen zunächst allein, doch inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Rushdie und die verbliebene Gruppe seiner Verteidiger werden unverhohlen als „Säkularfundamentalisten“ an die Wand gedrängt, Kirchen und Regierungen haben das „blasphemische“ Buch — natürlich nur aus religiösen Gründen — einhellig verurteilt, die Presse, insbesondere der 'Guardian‘ (der sich ja auch nicht an der Schriftsteller-Aktion beteiligte) veröffentlicht meist Ablehnendes und scheut keineswegs vor Diffamierung auf unterster Ebene zurück (so weiß der britische Steuerzahler genau, was ihn Rushdie und Freundin/nen pro Tag kosten). Außer Bücher moslemischer Gegner sind von englischen Autoren zwei Bücher zur Rusdhie- Affäre erschienen, von M. Ruthven, A Satanic Affair, und eben Webster. Beide polemisieren gegen Rushdie und bei beiden besteht der Verdacht, daß damit der höchst mittelmäßige Bekanntheitsgrad aufgebessert werden soll. Insgesamt zeigt sich, daß auf Dauer „Blasphemie“ auch heute noch gesamtgesellschaftlich mit dem Stigma des Bösen verhaftet bleibt. Websters Buch ist geeignet, die sich entwickelnde Abwehrfront bis hinein in die Intellektuellenszene zu verstärken, indem es auf fragwürdige Weise linksintellektuelle Schuldgefühle mobilisiert; und daß das funktioniert, zeigt die Reaktion sogar der taz. Ich möchte dagen die Behauptungen Websters in Frage stellen.

1.Trotz geflissentlicher Verurteilung einiger „übersteigerter“ kirchlicher Methoden der Blasphemiebekämpfung verteidigt Webster die Notwendigkeit von Blasphemieverboten zur Vermeidung öffentlicher Unruhe. Er argumentiert vor allem mit der selbstverständlichen Eingrenzung einer schrankenlosen Freiheit auch des Wortes (zum Beispiel bei Aufruf zu Gewalt und Mord!). Allerdings muß auch Webster zugestehen, daß Blasphemieverbote oft „gläubige“ Abweichler trafen und zeigt damit, worum es eigentlich geht. Sogenannte „Blasphemie“ ist ja zumeist die Formulierung eines persönlichen Glaubens, bisweilen mit Spott und Satire gegenüber den konventionellen Glaubensformen der eigenen Religion verbunden. Genau dieses Recht einer individuellen Glaubensformulierung verweigert Webster im Interesse des Schutzes einer Kollektivreligion. Hätten kirchliche Blasphemievorstellungen staatlicherseits stets Unterstützung gefunden, wären verbrannte Schriften wirklich geistig vernichtbar, könnten wir heute nicht die Schriften Giordano Brunos, Campanellas, Galileis, Keplers lesen, könnten wir weder Montaigne noch Descartés, weder Rabeleis, Diderot noch Voltaire, weder Rousseau noch Spinozas Pantheismus noch Kants Kritik der reinen Vernunft diskutieren. Sie alle waren zum Teil scharfen Blasphemievorwürfen ausgesetzt. Lessing und Goethe wären Opfer von Jacobis Pantheismus-Vorwurf geworden und noch Oskar Panizza wäre für sein Lieblingskonzil Anfang des 20. Jahrhunderts nicht nur ins Gefängnis geraten, sondern wohl hingerichtet worden, James Joyce, George Grosz, Max Ernst...

Natürlich, Webster bestreitet der Kunst (und Philosophie?) ihren „säkularfundamentalistischen“ Absolutheitsanspruch, aber wo wären wir ohne diese individuellen Stimmen? Muß ich mein Interesse daran zugunsten beleidigter Gläubiger unterdrücken? Haben nicht vielmehr auch die Gläubigen zu lernen, daß persönliche Ausdrucksformen des Glaubens und der Glaubensablehnung zu respektieren sind?

Im übrigen geht Webster einfach davon aus, daß es sich bei den Satanischen Versen um beleidigende Blasphemie handelt. Als Begründung führt er Stimmen „führender Moslems“ an, eben derer, die aus Berufung und Eigeninteresse (entsprechend christlicher Zuständiger) diesen Verdacht formulieren. Diese Ankläger verfahren alle gleichermaßen, indem sie „beleidigende“ Zitate aus dem Kontext des Buches, dem sprachlichen und inhaltichen Gesamtzusammenhang reißen und isolieren. Der radikalste Gegner Rushdies, Dr.Kalim Siddiqui, rühmte sich öffentlich, er habe nur ein paar Seiten des Buches gelesen. Ein Text hat aber das Anrecht, im Gesamtzusammenhang verstanden zu werden. Der allgemeine deutsche Gesetzesparagraph hätte hier tatsächlich vielleicht Klärung bringen können gegenüber den ideologisch-christlichen englischen Bestimmungen, die ein juristisches Verfahren abblockten. Websters eigener Blasphemie- Verdacht richtet sich denn auch gegen einen behaupteten Gesamtzusammenhang (ohne weitere Begründung), nämlich die „apokalyptische Vision“ des Buches. Offensichtlich gestattet Webster nur den monotheistischen Religionen das Recht zu apokalyptischen Visionen. Davon abgesehen, habe ich eine solche Vision in den Satanischen Versen nicht entdecken können, höchstens die Warnung vor einer Apokalypse des Zusammenpralls von heiligen Absolutismen und profaner Macht. Das Buch warnt gerade vor dem, wozu es nach Unterstellung Webster angeblich schürt.

2.Eine zweite These Websters ist die des derzeitigen latenten Übergangs vom Antisemitismus zum Antiislamismus in der westlichen Gesellschaft, wobei er aus polemischer Absicht — abweichend vom üblichen Sprachgebrauch — beides (Blasphemie ist Gotteslästerung in der eigenen Religion) mit Blasphemie gleichsetzt. Der „Gotteslästerer“ wird damit in die Nähe des schlimmstmöglichen Schuldvorwurfs, des Antisemitismus gerückt.

Während christlicher Antisemitismus jedoch seine Wurzeln in der haßerfüllten Verachtung der vorgeblich überwundenen Religion hat, ist der Haß gegen den Islam gespeist aus der Angst und dem geheimen Unterlegenheitsgefühl der Vorläuferreligion der nachfolgenden „Offenbarung“ gegenüber. In weiten Bereichen des Urchristentums spielte der Islam rein geographisch die überlegene Rolle (Erorberung) und drängte Judentum und Christentum in die gemeinsame Rolle der Geschlagenen. Über weite Zeiträume wurde der Islam als zumindest gleichberechtigter Gegner gefürchtet (und verschwiegen wurde von ihm gelernt). Die vielbeschworenen Kreuzzüge endeten ziemlich rasch mit einer christlichen Katastrophe, der Rückeroberung Spaniens entsprach andererseits der Verlust großer Gebiete an das osmanische Reich, das wiederum das Unterlegenheitstrauma der islamisch-arabischen Welt weit früher als der westliche Kolonialismus begründete. Zeitweilig ist der Islam von westlichen Denkern euphorisch gepriesen worden (Goethe). Auch durch den Kolonialismus konnte der Islam niemals in seiner religiösen Existenz bedroht werden, im Gegensatz zu den indianischen und afrikanischen Religionen, von deren Zerstörung heute ironischerweise gerade der Islam missionarisch profitiert. Auch im kolonialisierten Indien hat England die vormaligen Eroberer und Kolonisatoren, die „indischen“ Moslems, als geistige Verwandte gegenüber dem Hinduismus als Kollaborateure bevorzugt. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich das Verhältnis zum Islam zur politisch unreflektierten, wissenschaftlichen Neugier der Islamistik. Wenn heute erneut Ängste mobilisiert werden, so vor dem „Schwert des Islam“, wobei die unterschwellige Angst vor dem „Eroberer“ zutage tritt und der Islam (personifiziert in Chomeini, Saddam Hussein o.a.) die Rolle des sozialistischen „Reich des Bösen“ zugeschoben bekommt. Jenseits von solchen abstrusen Beschwörungen à la Konzelmann sind viele islamische Staaten und Regierungen bezüglich der Dritten Welt durch den Besitz von Öl privilegiert oder aus anderen Gründen nicht zu übergehen und die westlichen Regierungen agieren entsprechend. Der Islam ist gerade jetzt zum weltpolitischen Faktor geworden.

Es liegt mir fern, die entsetzliche Lage vieler Immigranten, moslemischer wie anders religiöser, und den steigenden rassistischen Rechtsradikalismus verharmlosen zu wollen. Meine sicherlich einseitige Argumentation, den Islam auch als welt- und machtpolitischen Faktor zu sehen, wendet sich gegen die „schreckliche Vereinfachung“, mit der Webster die grauenvolle Geschichte der Judenverfolgung und -vernichtung (christlich bis nationalsozialistisch) und die vollkommene Ausgeliefertheit des Judentums ohne jeden staatlichen Rückhalt oder politische Stütze mißbraucht, nur um seine Diffamierung Rushdies zu untermauern. Webster unterstellt, Rushdie betreibe in seinem Buch unreflekiert als im Grunde unverantwortliches Opfer des westlichen Einflusses eine Verunglimpfung der islamischen Religion, die den antisemitisch-hetzerischen Judenverleumdungen entspricht (etwa der mittelalterlichen Darstellung der „Judensau“). Er scheut sich nicht, diese ungeheuerliche Beschuldigung durch suggerierende Abbildungen zu verstärken. Unter scheinheilig formuliertem Mitgefühl wird Rusdhie jede eigenständige künstlerische und ethische Glaubwürdigkeit und Veranwortlichkeit abgesprochen, er wird beschuldigt, unwissentlich gedankenlos wie ein wüster Antisemit gehandelt zu haben. Wer das Buch gelesen hat (leider zu wenige) weiß, daß diese Anschuldigungen trotesk sind. Sie sind jedoch dazu bestimmt, diesen einen Menschen und Künstler auf subtil rasistische Weise (der kolonialisierte Farbige als Handlanger weißen Überlegenheitswahnes) moralisch zu vernichten.

[...] Die Satanischen Verse (Al- Azm bestätigt das ausdrücklich) haben dem Islam gegenüber eine nicht postmoderne, sondern moderne, eigenständig moslemische, aufklärerische Funktion. Erleichtert und erschwert zugleich wird diese Funktion durch die politische Gesamtkonstellation: Erstmals können ein Schriftsteller und sein Buch von der islamischen Machtelite nicht einfach eliminiert werden. In weiten Teilen der Welt kann das Buch auch von Moslems gekauft, gelesen und beurteilt werden. Zum anderen diffamiert die „westliche“ Hilfe, die das ermöglicht, das Buch gerade bei den Lesern, die es angeht. [...] Nur einer völlig geschlossenen, mit sich identischen religiösen Welt gegenüber wäre sein Buch vielleicht eine Anmaßung, aber eben auch im Machtbereich des Islam gibt es Widersprüche, Brüche, Differenzen und Dissens. [...]

Webster verteidigt das Recht der Gemeinschaft gegen den Einzelnen. Welches Recht aber bleibt diesem Einzelnen, wenn ihm das Recht auf Kritik, auf Abweichung vom Kollektiv verwehrt ist? Darf dieser einzelne nicht auch „fundamental“ werden? Er fordert ja nur sein eigenes Lebensrecht, nicht das Leben und die Überzeugung anderer.

3.Webster diffamiert schließlich auch jegliche Versöhnungsanstrengung Rushdies als arrogant, unglaubwürdig, taktlos und aggressiv. Er habe sich in „In good faith“ [dt. „Im guten Glauben“, Rushdies Essay zum 1. „Jahrestag“ der Fatwa. d.Red.] zu intellektueller und beschönigender Sprache bedient, er habe taktloserweise einen Ägypter (statt eines subkontinentalen Moslems) zum Gesprächspartner gewählt und sein Glaubensbekenntnis von vorneherein unehrlich zweckgerichtet vorgetäuscht.

Das Problem der Sprachebenen ist bekant. Wann beleidigt ein „Schreiber“ die „Nichtleser“ unter seinen Adressaten mehr, wenn er ihnen „unverständliche“ Intellektuellensprache zumutet oder wenn er die ihm eigentümliche Sprachebene verändert und vereinfacht? Rushdie hat sich zunächst für die intellektuelle Sprachebene entschieden und hätte damit unter den Moslems genügend Ansprechpartner finden können. Auch die „Moslem-Führer“ stehen nicht gerade mit dem Schaum des Elends vor dem Mund auf der Straße (El-Essawy zum Beispiel ist Zahnarzt im Privatberuf). Auch sie sprechen eigenmächtig im Namen der vorgeblich sprachlosen, gläubigen Massen. Nach dem Scheitern des ersten Versöhnungsangebotes hat Rushdie sich wahrhaft verzweifelt bemüht, die Sprachebene zu wechseln. Er wandte sich an den Ägypter El-Essawy, weil dieser zu Anfang als einziger Gesprächspartner überhaupt zur Verfügung stand. El-Essawy hat sich vielmehr geradezu aufgedrängt, was offensichtlich seinen Grund in der Hoffnung hatte, seine marginale „Gesellschaft für religiöse Toleranz“ aus der Isolation unter den englischen Moslems zu führen und seinen Einfluß zu erweitern. Von Anfang an hat El-Essawy die „Bekehrung“ Rushdies instrumentalisieren wollen, und dabei diesen in nach eigener Aussage 60 Telefonstunden aus Naivität oder Intriganz heraus durch haltlose Versprechungen (bis zum Besuch bei Mubarak) in unüberlegte Euphorie getrieben (aber auch die Moslems halten sich nicht mehr an ihre eigenen übernationalen Spielregeln, wie Essawy hätte wissen müssen).

Auch ein noch so verzweifelter Willensakt kann einen Agnostiker nicht zum Gläubigen machen, Glauben kann man auch sich selbst gegenüber nicht erzwingen. Zwar erleichtert der höhere (als christliche) Abstraktionsgrad des islamischen Gottesverständisses einen Kompromiß, doch muß dieser eben doch sich als solcher sprachlich bemerkbar machen, wenn der Betroffene nicht bereit ist zu lügen. Rushdie ist so weit gegangen, wie er konnte. Er hat vor allem so viel Medienöffentlichkeit gesucht wie möglich und mit seinen sehr demütigen Bekenntnissen und Interviews sicherlich eines seiner Ziele erreicht, nämlich nicht mehr als Pseudoheld für neofaschistische Skinheads und Rassenhasser in Frage zu kommen, woran auch seine aktuellen Stellungnahmen nichts ändern. Weder hat Webster das nur irgendwie anerkannt noch auch bemerkt, welches Opfer seines Stolzes Rushdie gebracht hat — auch er ist schließlich in der Tradition von „Ehre und Scham“ geboren.

Dem haben auch die gemäßigten Moslemführer nichts entgegengesetzt. Sie haben weder den Terror der Radikalen verhindert, der die beiden versöhnungsbereiten englischen Mullahs schließlich zum öffentlichen Widerruf der Versöhnung zwang, noch öffentlich gegen die Mordattentate auf die Übersetzer sowie gegen nachfolgende Jubelkommentare Radikaler protestiert. Sie haben —nicht einmal El-Essawy— sich überhaupt nicht klar gegen den iranischen Mordaufruf ausgesprochen, sich niemals von Beschimpfungen distanziert und die Radikalen weiterhin die Diskussion bestimmen lassen.

Ich glaube trotzdem nicht, daß Rushdie unrecht hat, wenn er sich an eine stillschweigende Mehrheit von vernünftigen und toleranten Moslems wendet. Zu ihnen gehören die Eltern meiner moslemischen Schüler, die jederzeit einen Mord im Namen ihrer Religion zurückweisen würden, die auch nicht kompromißlos auf dem Verbot eines Buches bestehen. Diese vernünftigen Durchschnittsbürger, in erster Linie an ihrem und ihrer Kinder Fortkommen interessiert, wollen aber keinen sie möglicherweise gefährdenden Konflikt riskieren, nehmen leider üblicherweise nicht an Demonstrationen teil und schreiben keine Leserbriefe; das Unrecht geschieht erfahrungsgemäß ungehindert vor ihren Augen. [...] Isabel Kocsis

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