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Zulagen für niedrige Einkommen

■ Interview mit Peter Blechschmidt, für Tarifpolitik zuständiges Mitglied des ÖTV-Hauptvorstands, über Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung

taz: Herr Blechschmidt, die ÖTV fordert in der beginnenden Tarifrunde eine Lohn- und Gehaltserhöhung von vier Prozent und Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung. Wie könnten solche Maßnahmen aussehen?

Blechschmidt: Es gibt mehrere Varianten. Eine der beschäftigungsichernden Maßnahmen wäre die Übernahme des Rationalisierungsschutztarifvertrages West auch für das Tarifgebiet Ost. Nach diesem Tarifvertrag müssen bei Umstrukturierungen und der Einführung neuer Techniken alle Formen der innerbetrieblichen Umsetzung, der Qualifizierung auf Kosten des Arbeitgebers genutzt werden, bevor es zu betriebsbedingten Kündigungen kommen kann.

Dies sind aber noch keine Garantien gegen Stellenabbau.

Bei einer Veränderung der Haushaltslage bei Bund, Ländern und Gemeinden kann und darf nicht immer wieder die einzige Lösungsmöglichkeit der weitere Abbau von Arbeitsplätzen sein. Wir werden sehen, ob hier bundesweite Rahmenregelungen, die dann örtlich oder regional ausgefüllt werden, Beschäftigung sichern helfen.

Bund, Länder und Kommunen betonen, daß es verfassungsrechtlich nicht möglich sei, ihnen die Hoheit zu beschneiden, über Haushaltsplan und Stellenkegel selbst zu bestimmen.

Wir wollen nicht in die Entscheidungskompetenz der parlamentarischen Gremien eingreifen. Aber wir können durch Tarifverträge über die Definition von Arbeitsmengen, Arbeitszeiten, der Zuweisung von Arbeitsfeldern und die Absicherung der Beschäftigten Einfluß auf die erforderliche Zahl der Arbeitskräfte nehmen.

In Berlin und Brandenburg gibt es Initiativen, im öffentlichen Dienst auf breiterer Basis verkürzte Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich festzuschreiben, um dann mehr Menschen beschäftigen zu können. Was halten Sie davon?

Die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes enthalten jetzt schon die Möglichkeit, jederzeit durch Teilzeitarbeit mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Wir brauchen also keine neuen Regelungen. Es ist auch nur schwer vorstellbar, daß die öffentlichen Arbeitgeber, die Tarifgemeinschaft deutscher Länder in diesem Fall, dem Land Berlin die Vollmacht für eine eigenständige Regelung geben würden.

Wird sich in Sachen Beschäftigungsumverteilung durch Arbeitszeitverkürzung in der kommenden Tarifrunde überhaupt etwas tun?

Wir haben die Arbeitszeitvorschriften nicht gekündigt. Politiker und öffentliche Arbeitgeber wollen das Rad zurückdrehen, fordern die Verlängerung der Arbeitszeit. Aber auch die Arbeitgeber haben die Tarifverträge nicht gekündigt, also gehe ich davon aus, daß sowohl die Arbeitszeitverlängerung als auch die Arbeitszeitverkürzung nicht Bestandteil der Lohnrunde 1994 sein werden.

Innenminister Kanther hat kürzlich geäußert, die Forderung der ÖTV nach vier Prozent Lohnerhöhung sei „von einem anderen Stern“. Fühlen Sie sich angesichts der leeren Haushaltskassen in der Defensive?

Wer öffentliche Haushalte durch politische Entscheidungen ausblutet, hat das Recht verloren, sich über die Haushaltsmisere zu beklagen. Arbeiter und Angestellte tragen die Hauptlast der Finanzierung der deutschen Einheit, sie sind nicht verantwortlich dafür, daß in Bonn auf die Erhebung eines Arbeitsmarktbeitrages oder einer Ergänzungsabgabe und die stärkere Beteiligung der Selbständigen verzichtet wird. Die Lohnquote ist auf den Stand von 1970 zurückgefallen, von daher ist es zwingend notwendig, Lohnerhöhung zu erreichen, um auch Massenkaufkraft zu sichern.

Wie will die ÖTV bei ihrer Gehaltsforderung eine soziale Komponente einbauen?

Im öffentlichen Dienst liegen rund 70 Prozent der Beschäftigten im unteren und mittleren Einkommensbereich. Für sie brauchen wir einen sozialen Ausgleich, und dafür gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Denkbar ist die Vereinfachung der Vergütungsstruktur oder der Einbau von Zulagen in die Grundvergütungen.

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