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Zukunftsfähig

■ Betr.: RAF-Veröffentlichungen, taz vom 10./12. April 1992, "Bewaffneter Kampf", Eurotaz vom 13.5.1992

Betr.: RAF-Veröffentlichungen, taz vom 10./12.April 1992,

„Bewaffneter Kampf“,

Eurotaz vom 13.5. 1992

Wer die RAF-Veröffentlichungen als Erklärung begreift und analysieren will, tut ihr Unrecht — diesen Rang beansprucht das Papier gar nicht. Es ist eine Nachricht; zugleich eine gute und eine schlechte. Erstens: der Waffenstillstand — er ist zu begrüßen. Zweitens: der Appell („an alle...“) ist einerseits an die mögliche Vernunft der politischen Klasse gerichtet; andererseits hat er Bedeutung für an einer grundsätzlichen Alternative Interessierte.

Zum System: Geht es der RAF um die Verwandlung eines feindschaftlichen Verhältnisses, aus welchem keine Seite als Gewinner hervorgehen kann, hin zu einer Gegnerschaft, so wird anhand des Papiers die Tiefe des Dilemmas deutlich, in welchem die RAF steckt: das negatorische Element des bewaffneten Kampfes („gegen-anstatt-für“) affirmierte, verwirklichte den Opponenten (Staat, System, Bestie). Fortdauernd wurde einem als entleert angesehenen Gegenüber Bedeutung verliehen im zuletzt alleinigen Angriff auf dessen Repräsentanten. Derweil kamen aus der Bonner Runde erste ElefantInnen, um den Beweis zu erbringen, daß ihnen der Begriff „Politik“ zur Leerformel für Mandatsgewinn und Machtverwaltung geronnen ist.

Zu den Menschen: Der Sprung in den illegalen, bewaffneten Kampf kann auch als der Versuch beschrieben werden, sich einer Verpflichtung zum „Gewinnen“ (zur Transzendierung einer Situation geschichtlicher Wehrlosigkeit), jedenfalls aber zu stets verantwortlichem „richtigen“ Handeln auszuliefern. Dies ist am Ende. Was das die Bewohner der BRD angeht? Wir wissen, daß an den und um die Grenzen Europas Krieg herrscht; hinter den Frontabschnitten des alten Jugoslawien erwirtschaftet die Organhandels-Mafia wohlfeile Beute; dubiose Waffenhersteller und -schieber erwirtschaften Profite, welche der zunehmenden Verarmung in unserem Lande (Mietenexplosion, Reallohnsenkung, Obdach- und Arbeitslosigkeit) ein Hohn sind; 80.000 Menschen hierzulande scheiden alljährlich freiwillig oder als Opfer von Drogen aus dem Leben (die Toten des Autowahns noch gar nicht eingerechnet); jeder 15. Souverän ist bereit, seine Wahlkampfkostengelder einer neofaschistischen Organisation zukommen zu lassen. Gegenüber der in der April-Erklärung der RAF vorgetragenen Sorge um den Verfall des sozialen Sinns in jedweder vorgefundenen Lebenswirklichkeit verdeutlicht es den Ungeist Bonns, wenn insbesondere SPD- Größen (Däubler-Gmelin) von der Nichterpreßbarkeit eines (Lobby- gestützten) Staates reden, anstatt sich selber einmal die Freiheit zu nehmen, über Räume und Wege für eine zu erwachsende grundsätzlich alternative Konzeption mit menschlicher Ausstrahlungskraft nachzudenken. Gesucht wäre allerdings auch eine Konzeption von Weltgründungsqualität.

Und es ist den Linken/fortschrittlichen Menschen vorläufig anscheinend unklar, was mit dem (vorläufigen) Verwerfen des bewaffneten Kampfes durch die „traditionsreiche Firma“ (RAF) ihnen zugewachsen ist: [...] Mokantentum, „klammheimliche Freude“ und Wadenbeißerei greifen ab sofort ins Leere, wenn von der Suche nach dem qualifiziertesten Ort von Opposition die Rede ist. Jetzt kann weder das ökologische Wohnprojekt noch das Sympathisantensein unter dem Flügel einer geistigen Stellvertreterschaft siedeln. Innerhalb einer gesellschaftlichen Topographie der Kommunikationsunfähigkeit erwächst jedem Ort die Verantwortlichkeit einer „freien Findung“.

So: Sich jetzt ins Mittel zu legen für eine Wiedereroberung zur Gestaltung des Sozialen als einem politischen Ziel! Und so politikfähig; ehrgeiziger: geschichtsmächtig.

Agonie, nicht Stabilität ist die treffende Beschreibung für die gegenwärtige, metropole Situation. Nächst dem Erlöschen nationaler Ökonomien erleben wir die De-Territoriation eines ethnischen Nationalismus. Um den Absturz in eine folgende Barbarisierung zu bremsen, ist der Mut erforderlich vom gemütlichen Besitz allein Selig-machender Erkenntnisfähigkeit Abschied nehmen zu können.

Auch deshalb gehören die politisch gefangenen Menschen raus. Zusammen und raus. Damit ein Prozeß von grundsätzlicher Aufarbeitung Raum greifen kann. Damit wir zukunftsfähig werden. ak drinnen&draußen,

G.Goldammer, Celle

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